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Wohlbefinden im Lehrerberuf: Wie wir mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz Schule schaffen
05.01.2024 - Im vorerst letzten Mikro-Impuls der Reihe stellte Dr. Benjamin Dreer-Göthe vor, was genau unter berufsbezogenem Wohlbefinden zu verstehen ist und welche Stellschrauben es zu adressieren gilt, um das Wohlbefinden von Lehrkräften positiv zu beeinflussen.
Lehrermangel, Mehrarbeit und Stundenausfall – angesichts aktueller Entwicklungen im Kontext Schule ist es wenig verwunderlich, dass viele Pädagoginnen und Pädagogen unter den hohen Anforderungen am Arbeitsplatz Schule leiden. Dabei sind zufriedene Lehrkräfte eine Grundvoraussetzung für gelingende Bildung: Lehrpersonen, die mit ihrem Beruf zufrieden sind, sind seltener krank, offener gegenüber unbekannten Situationen und positiver sowie wirkungsvoller im Umgang mit ihren Schülerinnen und Schülern. Die Steigerung von Wohlbefinden, als ein zentraler Faktor der Berufszufriedenheit von Lehrkräften, erscheint daher wichtiger denn je.
Im vergangenen Mikro-Impuls vermittelte PD Dr. habil. Benjamin Dreer-Göthe zentrale Aspekte des berufsbezogenen Wohlbefindens und gab den Teilnehmenden wertvolle Tipps an die Hand, wie sie ihr eigenes Wohlbefinden im Berufsalltag stärken können. Der ausgebildete Lehrer und Erziehungswissenschaftler ist derzeit wissenschaftlicher Geschäftsführer der Erfurt School of Education, der Einrichtung für die Lehrerbildung an der Universität Erfurt, und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit dem Thema Wohlbefinden in der Schule.
WOHLBEFINDEN: MEHR ALS KITSCH UND NICE-TO-HAVE
„Wohlbefinden ist schon lange kein Kitsch-Begriff mehr”, hob Dr. Dreer-Göthe zu Beginn seines Impulses hervor. Denn der Begriff finde heutzutage in zahlreichen Kontexten der Wissenschaft und Politik Verwendung – was nicht zuletzt auf die wissenschaftlich fundierte Bedeutung von Wohlbefinden für die Zufriedenheit in Beruf und Alltag zurückzuführen sei. „Lehrkräfte, die sich beruflich wohler fühlen, sind meist gesünder, schlafen besser, kündigen seltener und zeigen ein zugewandtes Lehrverhalten, was tendenziell auch zu mehr Wohlbefinden und besseren Lernergebnissen bei ihren Schülerinnen und Schülern führt”, so der Referent. Aus diesem Grund sei es auch aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive wünschenswert, sich dezidierter mit den Bedingungen beruflichen Wohlbefindens an Schulen und den dortigen Gestaltungsmöglichkeiten zur Steigerung von Wohlbefinden auseinanderzusetzen.
BILDUNGSPOLITISCHE VERANTWORTUNG: RAHMENBEDINGUNGEN IN SCHULE
Als Antwort auf die Frage, was man im Kontext Schule tun kann, um das Wohlbefinden von Lehrkräften zu adressieren, leitete der Impulsgeber zunächst anhand des sogenannten „Job Demands-Resources-Modell” einen Auftrag an die Bildungspolitik ab. Das Modell geht davon aus, dass es in jedem Job Anforderungen (z. B. Arbeitsstunden) und Ressourcen zur Bewältigung dieser Anforderungen gibt (z. B. Materialien), die sich durch eine Wechselwirkung mit Belastung und Motivation auszeichnen. „Wenn wir viele Anforderungen haben, erfahren wir auch viel Belastung, und wenn wir viele Ressourcen haben, motiviert uns das, die Anforderungen zu meistern”, erklärte Dr. Dreer-Göthe das Zusammenspiel.
Entsprechend sei es auch Aufgabe der Politik und Gesellschaft, dafür Sorge zu tragen, dass in anspruchsvollen Berufen oder während herausfordernder Phasen die Ressourcen erhöht und die Anforderungen verringert werden. Dies könne etwa durch eine bessere Ausstattung der Schulen, ausreichend Personal und soziale Unterstützungsstrukturen sowie die Verringerung von Klassengrößen und eine Auslagerung von Verwaltungstätigkeiten realisiert werden. „Wohlbefinden ist nicht die Einzelverantwortung des Individuums – auch die Politik trägt die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es ihnen im Beruf gut geht”, plädierte der Erziehungswissenschaftler.
SELBST AKTIV WERDEN: „JOB CRAFTING“ UND „SUBJEKTIVES WOHLBEFINDEN“
Nichtsdestotrotz gebe es aber auch verschiedene Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte, mit den Gegebenheiten am Arbeitsort Schule umzugehen und ihr eigenes Wohlbefinden im Berufsalltag zu verbessern. Das Konzept des „Job Crafting” gehe etwa davon aus, dass jede Person Einfluss auf die eigene Berufsgestaltung nehmen kann, der sich in die Bereiche „Aufgaben”, „Einstellung” und „Beziehung” differenzieren lässt. „Im Rahmen des Job Craftings kann man sich etwa die Fragen stellen, was man tun kann, um manche Aufgaben interessanter zu gestalten, ob sich Mehrarbeit in bestimmten Situationen wirklich lohnt oder für welche Stimmung man im Kollegium bekannt sein möchte”, so Dr. Dreer-Göthe.
Auch das Konzept des „subjektiven Wohlbefindens“ liefert Anhaltspunkte für mögliche Stellschrauben auf individueller Ebene. Denn die gleiche Arbeitsumgebung kann sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Entsprechend sei es ratsam, sich aktiv um das eigene Wohlbefinden zu kümmern und dabei die subjektiv wahrnehmbaren Auswirkungen von Situationen zu reflektieren. Dr. Dreer-Göthe zufolge zeichnet sich Wohlbefinden außerdem durch einen mehrdimensionalen Charakter mit sowohl kognitiven als auch affektiven Anteilen aus. Neben der Reflexion individueller Voraussetzungen empfiehlt der Impulsgeber daher auch, sich der Bandbreite der eigenen Gefühle bewusst zu werden und insbesondere positive Emotionen zu stärken.
„PERMA-MODELL“: WOHLBEFINDEN ALS AUFTRAG DER SCHULGEMEINSCHAFT
Positive Gefühle spielen eine gleichsam zentrale Rolle im sogenannten „PERMA-Modell”. Dieses beinhaltet die fünf Pfeiler von Wohlbefinden, die neben „positiven Emotionen” aus den Schlüsselelementen „Engagement”, „Beziehungen”, „Sinnerleben” und „Zielerreichung” bestehen. Eine wissenschaftliche Untersuchung Dr. Dreer-Göthes zeigt, dass insbesondere „positive Emotionen” und „Zielerreichung” in Zusammenhang mit der Berufszufriedenheit von Lehrpersonen stehen. Es scheine also besonders lohnend zu sein, mehr Freude, Stolz und Dankbarkeit in den Berufsalltag zu integrieren und sich etwa am Ende eines Tages zu fragen: „Was war heute gut?”
Dem Impulsgeber zufolge ergeben sich aus diesen Forschungsergebnissen aber auch einige Aufträge an die gesamte Schulgemeinschaft, die neben Lehrkräften unter anderem auch Schulleitungen und Eltern miteinbezieht. „Angesichts dessen, dass positive Emotionen so wichtig sind, sollte man sich in der Schule grundsätzlich mehr auf das Gelingende fokussieren”, schlägt der Referent vor. Dies könne zum Beispiel in Form von „Sternstunden” zum Schuljahresende erreicht werden, bei denen man thematisiert, „was besonders gut gelungen ist, was alles geschafft wurde und was das in uns auslöst”, so Dreer-Göthe. Um den Pfeiler der „Zielerreichung” zu stärken, biete es sich an, auch kleine Erfolge zu feiern und sich zum Beispiel durch Alumni-Arbeit der langfristigen Wirkung der eigenen Leistungen bewusst zu werden.
ZUSAMMENFASSUNG: DIE DREI EBENEN DES HANDELNS
Zusammenfassend erklärte Dr. Dreer-Göthe, dass Wohlbefinden unterschiedlich definiert werden kann und die vorgestellten Modelle und Konzepte immer auch eine Aussage für die drei Ebenen des Schulkontextes beinhalten: das Bildungssystem, die Schule und die Einzelperson. Während auf der Ebene der Schulpolitik ein adäquates Verhältnis von Ressourcen und Anforderungen geschaffen werden sollte, bieten sich auf der Ebene der Schulgemeinschaft die Ermöglichung und Verstärkung der PERMA-Kriterien an. Auf der individuellen Ebene liege der Fokus schließlich auf den eigenen Emotionen und insbesondere der Kultivierung positiver Gefühle.
DIE WICHTIGSTEN ZUTATEN
Die zwei unverzichtbaren Grundbedingungen sowie die Anstoßkugel, die es braucht, um Wohlbefinden am Arbeitsplatz Schule zu schaffen und/oder zu steigern, fasste der Impulsgeber Dr. Benjamin Dreer-Göthe zum Abschluss wie folgt zusammen:
WOHLBEFINDEN ≠ KITSCH – Es gilt, über das Wohlbefinden im Kontext Schule zu sprechen, das Thema wichtig zu machen und aus der Ecke „weicher Faktor” herauszuholen. Denn im internationalen Kontext ist das Thema Teacher Wellbeing seit langem sehr anerkannt und einzig bei uns etwas „verkitscht”.
ALLE AN EINEM STRANG – Gerade weil der Lehrberuf ein so einflussreicher ist und Wohlbefinden hier potenziell viele positive Effekte haben kann, muss die Relevanz dieses Themas über die Schule hinaus bewusst sein. Es gilt, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen. Ganz nach dem Motto „Jeder macht, was er kann” (Individuum, Schulleitung, Amt/Politik sowie Gesellschaft).
UMDENKEN ERWÜNSCHT – Resilienz- und Achtsamkeitskurse für Lehrkräfte sind der falsche Weg, um der Belastung im Kontext Schule zu begegnen. Vielmehr gilt es, Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte von Beginn an so zu gestalten, dass solche Kurse überflüssig sind. Hierzu muss das Thema bereits ab dem Studium gezielt in den Blick genommen werden.
Der gemeinsame Austausch im Anschluss des Impulses gab außerdem nochmals die Gelegenheit, einen dezidierten Blick auf konkrete Handlungsmöglichkeiten zu werfen. So wurde beispielsweise die „Highlight-Übung” nochmals thematisiert, im Rahmen derer man sich bereits zu Tagesbeginn eine Aufgabe aussucht, sich diese fest vornimmt und dann auch bewusst ausführt sowie reflektiert. „Das hilft, sich bewusst zu machen, dass man etwas geschafft hat, das einem wichtig war”, ergänzte der Referent. Auch der Vorschlag, Zeit mit Vorbildern zu verbringen, die wichtige Aspekte des Wohlbefindens gut umzusetzen vermögen, wurde nochmals erwähnt. Schließlich sei es in einer Schulgemeinschaft auch wichtig, sich gegenseitig den Rücken zu stärken und sich wertschätzend zu begegnen. Nur so könne ein Miteinander geschaffen werden, in dem man gerne ist und gerne arbeitet.
Die Reihe „Mikro-Impulse” war ein Angebot von „LiGa – Lernen im Ganztag” Sachsen-Anhalt und bot in einem knackigen Format (30 min Impuls und 15 min Austausch) Anregungen, praktische Ideen und Umsetzungsbeispiele rund um die Themen Schule, Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie Ganztag. Wir sagen „Danke“ für insgesamt 20 Ausgaben, die wir seit Dezember 2020 in unterschiedlicher Besetzung für und mit Ihnen und Euch gestalten durften!
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