Mit der Rakete zum individualisierten Lernen

14.03.2019 - Jessika Günther, Lehrerin an der LiGa-Schule Editha-Gymnasium Magdeburg erzählt, wie ihre Schule Heinz Bayers Projekt „Reservetank“ als Wahlpflicht einführte.

© Pixabay

Jessika Günther, Lehrerin an der LiGa-Schule Editha-Gymnasium Magdeburg erzählt, wie ihre Schule Heinz Bayers Projekt „Reservetank“ als Wahlpflicht einführte. Das Ziel: mehr Lernmotivation, mehr Lernerfolg und eine engere Bindung zwischen Schülern und Lehrkraft.

Am Editha-Gymnasium in Magdeburg wird im 80+10-Modell unterrichtet. Die gewonnenen Zeiten – kombiniert mit anderen Stundenkontingenten – nutzen wir, um weitere Formate zu implementieren. Drei Stunden pro Woche arbeiten die Schülerinnen und Schüler in einer „eigenverantwortlichen Lernzeit“ (ELZ). Das projektorientierte Format knüpft an die Kompetenzen an, die sie bereits aus der Grundschule mitbringen (freies Lernen, Wochenplanarbeit etc.). Außerdem finden in jeweils einer Wochenstunde parallel die Formate „Studienzeit“ (SZ) und „Wahlpflicht“ (WP) statt. Ersteres versucht, fachliche Defizite der Schülerinnen und Schüler in den Kernfächern auszugleichen. Letzteres unterstützt leistungsstarke Jugendliche dabei, ihre Interessen und Neigungen zu fördern (Sport, Sprachintensivkurse, Lego-AG, Literaturzirkel etc.).

Mir fehlte aber ein überzeugendes Konzept zur Motivationssteigerung stark versetzungsgefährdeter Schülerinnen und Schüler – bis ich Heinz Bayer und sein Projekt „Reservetank“ auf einer LiGa-Veranstaltung traf. In dem Projekt geht es darum, mit Hilfe metakognitiver Strategien dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Lernmotivation steigern und größere Schulerfolge erreichen.

Wahlpflicht bietet idealen Rahmen

Die Wahlpflicht bietet den idealen Rahmen, um das von Bayer angepriesene „Reservetank“-Modell an der eigenen Schule zu testen. In Absprache mit unserer Schulleiterin sollten Schülerinnen und Schüler mit hohem Motivationsbedarf angesprochen werden, die ihr Potenzial zur Leistungssteigerung bis jetzt nicht ausnutzten beziehungsweise auszunutzen wussten. Mithilfe des Einladungsformulars wurden die potenziellen Teilnehmenden über die Ziele des Kurses, der am Edita-Gymnasium den Decknamen „Rakete“ trägt, aufgeklärt.

In der ersten Stunde des Rakete-Kurses schauten mich 12 Jugendliche (davon nur ein Mädchen) erwartungsvoll an. Wir gingen die Inhalte des Vorwortes durch, das Heinz Beyer in seiner Handreichung auch für Schülerinnen und Schüler ansprechend und verständlich formuliert hatte. Am interessantesten fanden die Rakete-Schülerinnen und Schüler das Diagramm, das darstellt, welche Faktoren denn überhaupt einen messbaren Einfluss auf die schulischen Leistungen haben. Niemand war überrascht, dass schulische Hausaufgaben oder die tatsächliche fachliche Qualifizierung der Lehrperson fast keinen Einfluss haben. Umso erstaunlicher war die Information, dass die einer Lehrkraft von den Schülerinnen und Schülern zugetraute Qualifizierung einen signifikant höheren Einfluss auf allgemeinen Lernerfolg hat. Das bedeutet: Wenn Lehrkraft und Schülerschaft eine gesunde vertrauensvolle Bindung aufbauen und über das Lern- und Sozialverhalten und die daraus resultierenden Konsequenzen sprechen, steigen Motivation und Leistung.

Arbeit mit dem Wochenheft

Fester Bestandteil des wöchentlichen Rakete-Kurses am Editha-Gymnasium war seit Schuljahresbeginn 2018/2019 das Besprechen des von Heinz Beyer mitgelieferten Wochenheftchens. Es war bei der LiGa-Veranstaltung übrigens jeder Kollegin und jedem Kollegen mit der wärmsten Empfehlung zur Nachahmung und Vervielfältigung ausgehändigt worden war. Was sagen die Schülerinnen und Schüler zur beigefügten Karikatur? Wie war ihr „Aus-dem-Sumpf-zieh-Faktor“ an jedem Tag der Woche? Stehen Tests oder Klassenarbeiten an? Was lief gut? Was lief schlecht? Mit einfachen Kreuzen oder kurzen Stichpunkten ist so die Wochenbilanz schnell gezogen und eine Grundlage für die Reflexion gelegt. Mittlerweile beginnen die Stunden mit offenen Fragen, in denen die in Bayers Heftchen gestellten Fragen diskutiert werden. Wie lief eure Woche? Wo gibt es Probleme? Wie kann ich helfen? Was kannst du dazu beitragen? Was brauchst du dazu? Die Fragen werden in entspannter Atmosphäre in nicht frontal ausgerichteter Sitzordnung von allen Teilnehmenden besprochen. Dabei beraten sich die Sieben- bis Zehntklässler gegenseitig, sprechen sich Mut zu oder helfen einander.

Stärkere Bindung zu den Schülern

Meiner Erfahrung nach dient die Rakete-Stunde insbesondere dazu, eine Bindung zu den Kindern aufzubauen, ihnen zuzuhören, ihnen Unterstützung anzubieten und/oder ihnen Wege zur Lösung von schulischen Problemen aufzuzeigen beziehungsweise diese gemeinsam zu erarbeiten. Oft ist der Grund für schwache Leistungen im Bereich der schwachen Selbstorganisationskompetenz zu finden (fehlende kurz- und mittelfristige Planung, Unpünktlichkeit etc.). Die „Rakete“ bietet den Schülerinnen und Schülern eine Strukturierungshilfe, aber auch einen Raum für die offene Aussprache realer Probleme.

Den Rakete-Kurs gibt es noch nicht lange genug, um eine empirisch-fundierte Aussage zur Noten- oder Motivationsverbesserung zu ziehen. Ich beobachte jedoch, dass die Lehrer-Schüler-Bindung enorm gestärkt wird und sich ein Vertrauensverhältnis aufbaut, das sich positiv auf das Lern- und Sozialverhalten auswirkt. Heinz Bayer hat ein Instrument vorgelegt, welches durchaus 1:1 oder in abgewandelter Form in der Praxis eingesetzt werden kann, um das eigene Lernverhalten regelmäßig zu spiegeln und einen abrechenbaren Gesprächsanlass zu geben.

Weitere Infos zu Heinz Bayer und seinem Projekt „Reservetank“ finden Sie hier.

Auch das Wochenheft können Sie dort als PDF herunterladen.

<< zurück zur Übersicht