8 Uhr. Geschäftiges Treiben in den drei 6. Klassen der integrierten Gesamtschule Kastellstraße in Wiesbaden. Alle Türen stehen offen. Einige Schülerinnen und Schüler sitzen an Computern, andere stecken in kleinen Grüppchen ihre Köpfe in Sitznischen zusammen und planen eine Europareise durch vier Länder, wieder andere fragen sich paarweise Hauptstädte und Länder ab. Vereinzelt arbeiten Schülerinnen und Schüler an Arbeitsblättern für sich allein. Vor manchen liegt ein „Workplan“, andere orientieren sich an Aufgaben auf einem Whiteboard. Lehrkräfte bieten Lerngespräche an, fragen nach und beraten. Sie werden dabei unterstützt von einer Integrationshelferin und einer FSJ-Kraft. Die Atmosphäre ist entspannt, die Gespräche laufen auf Zimmerlautstärke.
Anregungen für individualisiertes Lernen
Das Team der Sophie-Opel-Schule aus Rüsselsheim ist heute mit Schulleiter Jens-Peter Krämer zu Gast an der IGS Kastellstraße Wiesbaden. Organisiert und begleitet wird die Hospitation durch ein Mitglied der regionalen Programmkoordination von „LiGa – Lernen im Ganztag“. Die Sophie-Opel-Schule, eine der 29 ganztägig arbeitenden Schulen im Programm LiGa Hessen, bietet bereits selbstorganisiertes und projektorientiertes Lernen an und möchte Anregungen zur Gestaltung von LERNZEIT und NACHMITTAGSWERKSTÄTTEN bekommen. Ihr Ziel ist es, verbesserte Strukturen und Angebote für individualisiertes Lernen in den Fokus zu nehmen. Dieses Vorhaben hat die Schule bereits im Rahmen der ersten beiden Netzwerktreffen auf ihrem Projektfahrplan konkretisiert.
In eigenem Tempo und Rhythmus
Die Lernzeiten an der IGS Kastellstraße finden montags bis freitags 60-minütig in der 1. Stunde statt. Dieses Zeitfenster entsteht, weil die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch je eine Stunde zur Verfügung stellen und Stunden aus dem Ganztag genutzt werden. Außerdem werden die 33 Zeitplätze, die der Stundenplan so für die Jahrgangsstufen 5 und 6 bietet, möglichst kreativ genutzt. In der Vereinbarung zur Lernzeit an der IGS Kastellstraße heißt es: „Schülerinnen und Schüler arbeiten während der Lernzeit in eigenem Tempo und Rhythmus an freien und festlegten Aufträgen. Hierbei entscheiden sie selber, ob sie alleine oder gemeinsam mit anderen arbeiten.“ Die Wochen beginnen und enden im Teamteaching. Das sind zwei klassenführender Lehrkräfte, die mit ihrer Klasse den Wochenplan besprechen. Zukünftig soll der Aspekt Individualisierung noch mehr in den Fokus genommen werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen weniger Arbeitsblätter abarbeiten und mehr an Lernaufträgen und interessengeleiteten Projekten arbeiten. Die Ergebnisse aus den Lernzeiten sollen noch mehr in die einzelnen Fächer eingebracht werden.
Veränderung und Partizipation
Individualisierung von Unterricht und Verknüpfung von Ganztag und Unterricht stehen derzeit im Zentrum der Schulentwicklung. Schulentwicklung wird hier als immerwährender Prozess betrachtet. Veränderungen werden von unten aufgebaut, so dass die gesamte Schule nach und nach einen Wandel durchlaufen kann. Eine Übersicht über die Kooperationsstrukturen im Rahmen des Ganztags zeigt, wie viele Beteiligte es dabei gibt. Die Partizipation von Kollegium und Schülerschaft am Veränderungsprozess ist erklärtes Ziel. Um die Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten zu stärken, gibt es Schülerräte und auch einen Lehrerrat. Schule soll an der IGS Kastellstraße mehr mit als für die Schülerinnen und Schüler gestaltet werden.
Nachmittagswerkstätten und Markt der Möglichkeiten
Dies war auch der Ansatz der kürzlich für die 5. und 6. Klassen eingerichteten Nachmittagswerkstätten, die die Lernbereiche musisch-ästhetische Erziehung, Bewegung und Gesundheit, Sprachen, MINT sowie Welt und Umwelt abdecken. Die Lehrkräfte müssen attraktive Angebote für die verschiedenen Lernbereiche machen und diese beim Markt der Möglichkeiten präsentieren. Die Schüler wählen aus und schreiben sich in Listen ein. Pro Schuljahr wählen die Kinder zwölf Nachmittags-werkstätten, im Halbjahr ungefähr sechs (immer von Ferien zu Ferien). Jeder Lernbereich muss innerhalb von zwei Jahren mindestens zwei Mal gewählt werden. Der Unterricht in den Werkstätten ist eher produktorientiert ausgelegt, so dass die Schülerinnen und Schüler kognitiv entlastet werden. Für die Teilnahme an den Nachmittagswerkstätten bekommen sie eine qualitative Rückmeldung in Bezug auf ihre Lern-, Personal-, und Sozialkompetenzen. Außerdem erhalten die Schülerinnen und Schüler ein inhaltsbezogenes Feedback, in Form eines Zertifikats, welches anschließend in die Portfoliomappe wandert.
Ist das Konzept zur Übernahme geeignet?
Seitens der Sophie-Opel-Schule gab es im Anschluss an die Hospitation intensive Diskussionen über eine mögliche Adaption des Werkstätten-Konzepts und des Einrichtens von Lernzeiten an der eigenen Schule. Es ist geplant, die Erkenntnisse zeitnah für eigene Konzeptionen zu nutzen.
Von Anette Zinser