Ganztag entwickeln

13.06.2019 - Uwe Schulz, Schulleiter der Gesamtschule Niederwalgern in Hessen, erzählt, was sich an seiner Schule seit der Teilnahme am LiGa-Programm verändert hat.

© H. T. Bolland

Niederwalgern ist ein kleines Örtchen in Mittelhessen. Es hat 1.400 Einwohnerinnen und Einwohner. Und die Gesamtschule Niederwalgern! Seit dem Schuljahr 2015/2016 ist Uwe Schulz hier Schulleiter. Damals fing die Schule gerade an, sich verstärkt mit Schulentwicklungsthemen zu beschäftigen. Da kam das Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ genau zur rechten Zeit. „Zu diesem Zeitpunkt war unser Ganztag ein bisschen wie ein VHS-Programm: Es gab von allem etwas – Lernzeiten, Arbeitsgemeinschaften und Förderunterricht. Teilweise waren die Angebote verbindlich, teilweise nicht. Das Ganztagsschulprofil der Schule schien eher Zwang als Chance zu sein“, erzählt Schulleiter Schulz. „Wir haben dann beschlossen, dass wir den Ganztag systematisieren und die Angebote so entwickeln wollen, dass sie den Schülerinnen und Schülern und auch dem Kollegium Spaß machen.“

Mittlerweile gibt es an der Gesamtschule Niederwalgern Lernzeiten in den Stufen 5 und 6, die an den Fachunterricht gekoppelt sind und Lernzeiten in den Stufen 5 bis 10, die an die Klassenlehrer gebunden sind. Die Lernzeiten ermöglichen den Schülerinnen und Schülern methodisches und selbstständiges Lernen. Außerdem wurden Lernzeiten eingeführt, die direkt auf Prüfungssituationen vorbereiten. In den sozialen Lernzeiten geht es beispielsweise darum, gemeinsam mit dem Klassenrat Möglichkeiten demokratischen Handelns einzuführen. Seit der Teilnahme am Programm LiGa haben sich die Lernzeiten etabliert und sind von der Gesamtschule Niederwalgern nicht mehr wegzudenken.

Vielfältige Kooperationen

„Inhaltlich hat sich seit der Teilnahme an LiGa viel verändert“, erzählt Schulleiter Schulz. „Wir haben an unserer Schule im Bereich Sport und Gesundheit, Naturwissenschaften, im Bereich Prävention und zum Thema Schulverpflegung viel getan.“ Durch die Netzwerkarbeit haben sich zahlreiche externe Kooperationsmöglichkeiten ergeben. Beispielsweise arbeitet mittlerweile eine Ernährungsberaterin wöchentlich 10 Stunden an der Schule, um das Thema gesunde Ernährung den Schülerinnen und Schülern und auch dem Kollegium näherzubringen.

Die Ernährungsberaterin kommt aus dem Gesundheitsamt in Marburg und setzt einen Schwerpunkt auf nachhaltige Schulverpflegung. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und den Betreibenden der Cafeteria hat sie sich zusammengesetzt und ein Frühstückskonzept und ein ausgewogenes Nahrungsmittelangebot entwickelt. So hat sich auch der Umsatz der Cafeteria verbessert. Für das nächste Jahr sind erstmals Projekte mit Schülerinnen und Schülern geplant, wie Ernährungspräventionstage und ein Erdbeertag, bei dem sich alles einen Tag lang um die rote Frucht dreht.

Externes Netzwerk ausbauen

„Seit der Teilnahme am LiGa-Programm ist unsere Schule fokussierter geworden“, berichtet Schulleiter Schulz. „Wir arbeiten nicht mehr mit dem Gießkannenprinzip, sondern stimmen die Angebote genau auf unsere Themenbereiche und die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler ab.“ Wenn die Schülerinnen und Schüler älter werden, verändern sich auch die Lernorte. Sie lernen dann zunehmend an externen Orten. Beispielsweise fahren die angehenden Gesundheitsbotschafter drei bis vier Tage zu einem Lehrgang und kommen dann zurück an die Schule, um anschließend mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Das Prinzip, dass ältere Schülerinnen und Schüler Wissen an die Jüngeren weitergeben, hat sich mittlerweile an der Gesamtschule Niederwalgern bewährt.

Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht

Die Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht war von Anfang an sehr gut. Seit der Auftaktveranstaltung ist die Schulaufsicht fester Bestandteil des Netzwerkes der Schule. „Wir haben sehr transparent und kontinuierlich mit unserer Schulaufsicht zusammengearbeitet“, erzählt Schulleiter Schulz. „Wir haben die Schulaufsicht zu den Projekten eingeladen, zur Entwicklung der Projekte und natürlich gemeinsam Schulentwicklungsgespräche geführt. Der Ganztag ist bei uns ein ganz großer Teil von Schulentwicklung.“ Die zuständige Dezernentin ist in alle Aktivitäten eingebunden und innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt.

„Für mich ist tatsächlich das Spannendste, unsere Netzwerke zu erweitern, denn so können wir viel in Richtung Schulentwicklung bewegen“, erzählt Schulz. Er nimmt wahr, dass sich das Setting von Unterricht verändert. Der klassische 45-Minuten-Unterricht im Klassenraum weicht stark auf und die Schülerinnen und Schüler lernen in alternativen Situationen Dinge, die modern und zukunftsfähig sind. Das geht aber nur, wenn man die Öffnung von Schule vorantreibt und externe Experten in die Schule holt, ist Schulz überzeugt. Es tun sich auch immer wieder Bedarfe bei den einzelnen Partnern auf, die sich sehr gut ergänzen.

Wie sieht die Schule der Zukunft aus?

„Das Entscheidende bleibt aber stets, Schule im Sinne der Schülerinnen und Schüler zu verändern. Wie sieht die Welt in 30 Jahren aus und was müssen die Kinder dann für Aufgaben bewältigen? Das sind die großen Fragen, die uns als Schule und mich als Schulleiter beschäftigen“, erzählt Schulleiter Schulz. „Und wir finden zunehmend Antworten auf diese Frage.“

Schulz‘ Vision ist: Schule als eine multifunktionale Begegnungsstätte, an der innerschulische und außerschulische Professionen gemeinsam im Sinne eines nachhaltigen und gesundheitsförderlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags tätig werden.

In Hessen haben Schülerinnen und Schüler einen rechtlichen Anspruch auf individuelle Förderung durch die Schule. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, kommen im Unterricht die verschiedensten Diagnoseinstrumente zum Einsatz. Sie zeigen zunehmend Lernhemmnisse auf, die von dem üblicherweise an Schulen tätigen Personal (beispielsweise Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte) nicht mehr alleine gelöst werden können. Das führt oft dazu, dass sich die Erziehungsberechtigten um eine medizinische und therapeutische Unterstützung kümmern müssen. Um Eltern, Schülerinnen und Schülern den damit verbundenen Mehraufwand zu erleichtern, möchte Schulz einen Platz schaffen, der Angebote bündelt und die Schülerinnen und Schüler vor Ort darin unterstützt, an ihren Defiziten zu arbeiten. Wenn beispielsweise ein Jugendlicher ein Sprachproblem hat, könnte er in seiner Freistunde die Logopädin aufsuchen, die einmal pro Woche an die Schule käme. Gleiches gilt im Übrigen auch für Schülerinnen und Schüler, die ihre Talente und Stärken weiterentwickeln möchten.

Schulleiter Schulz kann sich vorstellen, dieses Prinzip vor allem in den Bereichen Sport, Gesundheit und Prävention zu realisieren, beispielsweise in Form eines sogenannten „Kompetenzzentrums für Sport und Gesundheit“. „Die Resonanz auf dieses Projekt und eine künftige Zusammenarbeit mit unserer Schule ist bisher jedenfalls durchgängig positiv und vielversprechend. Wenn wir das umsetzen können, wäre das richtig innovativ. So etwas gibt es in Hessen noch nicht.“

<< zurück zur Übersicht