Stellen Sie sich vor, es sind Ferien. Das Schulhaus ist über viele Wochen verwaist. Nur die Fische ziehen ruhig ihre Bahnen im Schulaquarium. Allerdings verdunstet fast das gesamte Wasser über die heißen Ferienwochen. Am ersten Schultag haben die Fische gerade so überlebt. Auf dem Fachtag von LiGa-Sachsen-Anhalt stellten die Schülerinnen und Schüler der Zweiten Integrierten Gesamtschule in Halle am 13. und 14. Juni ein System vor, dass dieses Szenario mithilfe des Minicomputers Raspberry Pi verhindert. Der Raspberry Pi löst einen Alarm aus, wenn mit dem Wasser im Aquarium etwas nicht stimmt.
Eine nachhaltige und praxistaugliche Ausstattung
Zwei Tage mit Live-Unterricht, Workshops, AGs, Präsentationen und interaktiven Pausen gestalteten Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie IT- und Open Source-Experten in der Ganztags- und Gemeinschaftsschule Friedrichstadt. Die zentrale Botschaft der Veranstaltung war: Im offenen Schulhaus sollen junge Menschen mit freier Software und offen zugänglichen Arbeitsgeräten Computer und Internet verstehen lernen und vor allem aktiv nutzen (dürfen). Die Workshop-Themen zeigten eine große Auswahl an Open-Source-Software und auf Open-Source basierende Betriebssysteme und Lernmanagementsysteme für Schulen:
- 3D-Visualiserungen mit Blender
- Arbeiten mit Minetest
- Arbeiten mit H5P und Moodle
- Programmieren mit der Platine Calliope mini
- Programmieren lernen mit dem Roboter Thymio
- Fischrettungsmaschine und Hitzefreialarm
- Puavo – Open-Source-basierte Komplettlösung aus Finnland
- Linuxmuster.net – Open-source-basierte Geräte- und Nutzerverwaltung
- Trickfilm mit Gimp erstellen
- Arbeiten mit Audacity
- uvm.
Es wurden verschiedene Open-Source-basierte Geräte-, WLAN und Nutzerverwaltung und einzelne Open-Source-Programme für 3D-Visualisierung, Audio- und Bildbearbeitung oder Mikroskopie vorgestellt. Bislang setzen viele Schulen und Schulträger in der pädagogischen Konzeption und der Ausstattungsplanung ohne Wissen um soziale und wirtschaftliche Folgen noch auf herstellerabhängige Infrastrukturen und erschweren durch Lizenzsoftware Teilhabe. Schulen fällt es aufgrund fehlender Qualifikation und Erfahrung der Lehrkräfte sehr schwer, geeignete pädagogisch-didaktische Konzepte zu entwickeln, die die enormen Möglichkeiten von Computer und Internet für Zusammenarbeit und Projektlernen, für Individualisierung und Inklusion, aber auch für Schulorganisation und Schulentwicklung nutzen. Der Fachtag bot den Schulen Ansätze für eine nachhaltige pädagogische Planung und Ausstattungskonzeption.
Digitale Schule vs. digitale Wirklichkeit
Paul zum Beispiel ist 13 Jahre alt und geht auf ein Gymnasium. Auf dem Campingplatz in den Bergen in Spanien kann er sich problemlos mit Smartphone und Tablet im WLAN anmelden. Im Supermarkt in Portugal gibt es ein offenes WLAN. Hier recherchiert er die kürzeste Route zum nächsten Campingplatz. Seine Eltern sprechen am Frühstückstisch von Künstlicher Intelligenz und verbesserten Algorithmen. In seiner Schule ist das kein Thema. Dort gibt es einen seit vier Jahren nicht gewarteten Computerraum. Das neu beschaffte Smartboard nutzt keine Lehrkraft. Auf dem Flur hört er: „Wenn man für eine Präsentationswand eine ganztägige Schulung braucht, ist sie für Schule nicht geeignet“. In seiner Freizeit fachsimpelt Paul über den Globus in immer versierterem Englisch über die Programmierung von Online-Welten und Spieltaktiken. Was er allerdings genau macht, wenn er auf Instagram und Twitter unterwegs ist, was es bedeutet, wenn ungefragt Nutzerprofile über Datenspuren erstellt werden, hat er nie gelernt.
Elias ist in der neunten Klasse. Im kommenden Schuljahr wird er seinen erweiterten Realschulabschluss machen und eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung beginnen. Sarah macht gerade Abitur und beginnt zum Herbst ein Informatikstudium. Beide wollen ihre Leidenschaft zum Beruf machen und sind ausgemachte Autodidakten. An ihren Schulen hatten sie hinsichtlich ihrer Neigungen leider wenig Möglichkeiten, zu entdecken, zu experimentieren und den Computer selbst zum Lernziel zu haben. Dabei sind beide in einer Welt aufgewachsen, in der man das Bahnticket online bucht, das Schulessen online bestellt, überall WLAN verfügbar ist und man verschiedene Internetdienste nutzt, um sich mit anderen über Hobbies und Interessen auszutauschen. Sie leben in einer Welt in der kulturellen Teilhabe auch bedeutet, technische Zusammenhänge zu verstehen, ein Kulturzugangsgerät wie ein Notebook, Tablet oder Smartphone zu haben und vor allem einen Internetzugang.
Digitalpakt und KMK-Strategie
Die Situation an den meisten Schulen ist bis heute wesentlich durch Schulbücher und Overheadprojektor, defekte Drucker und unzeitgemäße Lernräume geprägt. Mit dem Digitalpakt sollen Schulen in Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern IT-technisch aufgerüstet werden. Auch haben sich alle 16 Bundesländer verpflichtet, dass Schülerinnen und Schüler ab diesem Schuljahr zentrale Medienkompetenzen erwerben sollen. Dazu gehören beispielsweise digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen. Außerdem die Kompetenz zur digitalen Zusammenarbeit sowie die Fähigkeit, Daten richtig abzulegen, zu analysieren und zu strukturieren, eigene Inhalte zu produzieren und zu präsentieren oder technische Probleme zu lösen und Algorithmen zu verstehen.
Die Schülerinnen und Schüler sollen zentrale Medienkompetenzen ausbilden. Dafür brauchen Schulen neben innovativen didaktischen Konzepten eine Ausstattung, die anderen – nämlich pädagogischen – Anforderungen genügt, als es beispielsweise im Unternehmen oder Büro der Fall ist. Was bedeutet es, wenn an einer Schule 800 Geräte, teilweise mit Multimediaanwendungen, gleichzeitig das Internet nutzen möchten. Wie voraussetzungsreich ist cloudbasierte Teamarbeit? Wie lernen Schülerinnen und Schüler etwas über Computer? Nicht indem sie abgeschlossene Geräte ohne administrative Rechte nutzen, wie es oftmals vom Schulträger vorgegeben ist. Vielleicht braucht es zusätzlich zum Arbeitsgerät auch Hardware zum Programmieren lernen und zum Aufsetzen eigener Netze? Unverzichtbar ist zudem die schulweite Nutzung einer Lernplattform. Doch wenn wirklich alle an der Schule hinreichend kompetent sind, diese zu nutzen, wo muss sie auf welchen Geräten verfügbar sein? Natürlich auch auf schülereigenen Geräten, denn Lernen hört nicht nach 45 Minuten auf.
IT-Ausstattung ist Neuland
Die zu lösende Aufgabe bei der IT-Ausstattung von Schulen ist, dass hier wirklich alle Professionen von Anbeginn und eng zusammenarbeiten müssen, wenn man praxistaugliche Ausstattung sicherstellen und Fehlinvestitionen vermeiden möchte. IT-Fachleute beim Schulträger kennen sich oftmals nur mit Anforderungsprofilen aus dem Bereich Verwaltung und Unternehmen aus. Schulleitende und Lehrkräfte haben wenig bis keine Erfahrung im Bereich digital-vernetztes Lernen. Teilweise werden deshalb externe Berater, die allerdings ihre Hard- und Software verkaufen möchten, vom Schulträger beauftragt, das Ausstattungskonzept und zugleich das Medienkonzept der Schule zu beraten. Das hat zur Folge, dass oft für viel Geld Ausstattung gekauft wird, die dann keinen Einsatz im Unterricht findet.
In Sachsen-Anhalt unterstützt seit zwei Jahren ein Fachnetzwerk Schulträger, Schulleitende und Schulaufsicht dabei, hier die richtigen Schritte zu planen. Es wurde im Rahmen des LiGa-Programms gegründet. Das Fachnetzwerk setzt sich aus unabhängigen IT-Beratern mit Erfahrungen in der IT-Ausstattung von Schulen, Schulleitenden der jeweiligen Landkreise, Schulaufsicht, Vertreterinnen und Vertretern der Schulträger und außerschulischen Partnern wie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als auch Akteuren aus Wissenschaft und der regionalen Wirtschaft zusammen. Das Fachnetzwerk hat es sich zum Ziel gemacht, Schulleitende und Schulträger kostenfrei zu beraten, didaktische Szenarien zu erproben, Live-Unterricht anzubieten, Ergebnisse sichtbar zu machen und den Blick für die pädagogische Nutzung von Computer und Internet zu weiten.
Dieses Fachnetzwerk hat insbesondere das Ziel, dass Schülerinnen und Schüler nicht ungenutzte Technik im Schulhaus erleben müssen, sondern vielmehr zentrale Medienkompetenzen für ihr Leben und ihre Berufstätigkeit im 21. Jahrhundert erwerben können.