Die Inputs
Kerstin Hübner, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ), machte in ihrem Input die Potentiale außerschulischer kultureller Bildung für eine Kultur des kreativen Lernens und Ausprobierens in Ganztagsschulen deutlich. In Projekten wie dem Kompetenzkurs Kultur – Bildung -Kooperation oder dem Förderprogramm Künste öffnen Welten, beide begleitet u.a. durch die BKJ, werden diese Potentiale weiterentwickelt. In drei Thesen wandte sich Kerstin Hübner der Frage zu, wie Kinder und Jugendliche bestmöglich auf ihrem Weg in die Zukunft begleitet werden können.
These 1: Wir müssen Kinder und Jugendliche als Subjekte nicht als Objekte wahrnehmen und sie als Gestaltende der Gesellschaft von morgen anerkennen.
Dies sei eine Haltungsfrage. Auch für uns Erwachsene gilt es, neugierig zu sein. Wir müssen erforschen, wie die Kinder und Jugendlichen ihre Welt sehen, so Kerstin Hübner. Wir müssen ihre Lebenswelt ergründen und überlegen, welche Fragen sich daraus für die Kinder und Jugendlichen und für uns ergeben. Die Welt ist dynamischer geworden. Das bedeutet, wir müssen Kinder und Jugendliche darin unterstützen, sich auf die künftigen Unsicherheiten vorzubereiten. Dabei gilt es anzuerkennen, dass Kinder und Jugendliche bereits jetzt Expertinnen und Experten der Welt von morgen sind.
These 2: Bildung ist mehr als kompetent zu sein. Bildung ist mehr als Leistung.
Das bedeutet zunächst, formale, non-formale und informelle Bildung als gleichwertig anzuerkennen. Kinder und Jugendliche brauchen alle drei Bildungsformen gleichermaßen, um gut auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Durch Kooperationen, z. B. mit Kulturorganisationen, erweitern sich die Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Diese erweiterten Möglichkeiten sind wichtig für die Selbstpositionierung Heranwachsender. Was kulturelle Bildung ihnen vermitteln kann, ist eine forschende Haltung der Welt gegenüber, um so Schritt zu halten mit der Dynamik von Veränderungen. Kulturelle Bildung geht aber auch darüber hinaus. Wie kann ich Einfluss nehmen in einer sich verändernden Welt? Das ist eine der zentralen Fragen, auf die mittels kultureller Bildung Antworten gefunden werden können.
These 3: Kulturelle Bildung kann Freiräume des Ausprobierens in Ganztagsschule öffnen, aber: Sie ist kein Allheilmittel!
Sie braucht vor allem eine konstruktive Kooperationskultur. Was Kerstin Hübner im Hinblick auf Kooperationen bemerkte, sind die Vorbehalte der Kulturschaffenden gegenüber dem System Schule. Die BKJ hat im Verbund ein Projekt zur Verbesserung von Kooperation zwischen Schule und Partnern der kulturellen Bildung durchgeführt: den Kompetenzkurs Kultur – Bildung -Kooperation. Wichtig war es, im Projekt KuBiKo, einen Perspektivwechsel zu schaffen – weg von systemischen Unterschieden, hin zu Gemeinsamkeiten – und den Kolleginnen und Kollegen eine interprofessionelle Haltung zu vermitteln. Ein leitende Frage sei: Was braucht es für eine Begegnung der Fachkräfte? Kerstin Hübner hält zwei Bedingungen für besonders wichtig. Zum einen das Empowerment der Fachkräfte aus der kulturellen Bildung und zum anderen, ihnen Möglichkeiten zur Mitgestaltung von Ganztagsschule zu geben. Gerade Letzteres hätte aus ihrer Erfahrung einen weiteren positiven Effekt: Je mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten die Fachkräfte haben, desto mehr Freiheiten eröffnet das auch den Schülerinnen und Schüler.
Dr. Sibylle Reichmann, Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg, stellte die Frage in den Vordergrund, was wir den Schülerinnen und Schülern im 21. Jahrhundert vermitteln sollen. Die Stärke des Ganztags sei es, mehr als „nur“ Unterricht in den Blick nehmen zu können und Kindern und Jugendlichen damit mehr anbieten zu können, als reine Qualifizierung. Die Herausforderungen der Zukunft sind mit guten Schulnoten allein nicht zu meistern. Dr. Sibylle Reichmann verwies auf den UNESCO-Bericht zur Bildung im 21. Jahrhundert1, der an Aktualität nichts eingebüßt hat. Bildung ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um Armut, Ausgrenzung, Unwissenheit, Unterdrückung und Krieg zu überwinden, wird im Bericht betont.
Vier Thesen darüber, was Kinder und Jugendliche für die Zukunft lernen sollten, stellte Dr. Sibylle Reichmann heraus:
- Lebenslanges Lernen: Schülerinnen und Schüler müssen lernen, Wissen zu erwerben und zwar lebenslang. Dazu braucht es eine breite Wissensbasis, auf der lebenslanges Lernen aufbauen kann. Den Schülerinnen und Schülern müsse Freude an Veränderung vermittelt werden. Sie brauchen dazu eine Struktur, die ihnen Sicherheit gibt.
- Lernen, zusammenzuleben heißt, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und zu verstehen, dass man aufeinander angewiesen ist sowie mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit umzugehen. Das ermöglicht es Kindern und Jugendlichen, auch zukünftig nicht nur gemeinsam zu leben, sondern auch gemeinsame Projekte zu entwickeln, Konflikte zu lösen und eine Gesellschaft zu entwickeln, die von Respekt für plurale Werte und einem friedvollen Miteinander getragen ist. Der Ganztag kann den Kindern und Jugendlichen vermitteln, wieviel mehr die Welt für sie bereithält außer den eigenen vier Wänden.
- Lernen, zu handeln bedeutet, nicht nur berufliche Qualifikationen auszubilden, sondern zu lernen, mit den vielfältigsten, auch unvorhergesehenen Situationen umzugehen, im Team zu arbeiten. Um diese Handlungsfähigkeit zu entwickeln, müssen Kinder und Jugendliche Erfahrungen von Selbstwirksamkeit machen können. Solche Erfahrungen müssen im Ganztag ihren Raum finden!
- Lernen fürs Leben meint, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, um selbstbestimmt und in Verantwortung für sich selbst und andere handeln zu können. D. h., Ganztagsschule muss das persönliche Potential jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen in den Blick nehmen und ihr kognitives, physisches, kreatives, sozial-kommunikatives Vermögen in bestmöglicher Weise weiterentwickeln.
Christina Wolff koordiniert in ihrer Funktion als Referentin für MINT-Förderprogramme u.a. das Projekt tasteMINT an der Universität Potsdam. Mit gezielten Maßnahmen sollen nicht nur die MINT-Begabungen von Mädchen gefördert werden, sondern sie sollen auch ermutigt werden, Berufswege einzuschlagen, die diesen Begabungen entsprechen. Denn viele technik- und naturwissenschaftlich begabte Mädchen entscheiden sich für Berufswege jenseits der MINT-Laufbahnen. Hier wirken Vorurteile und geschlechtsstereotype Vorstellungen auf die Berufswahl junger Frauen ein. So kommt es, dass trotz steigender Zahl von Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern der Anteil von Frauen in diesen Fächern deutschlandweit bei nur 30 % liegt. An der Universität Potsdam sind es ca. 50 %, was vor allem am hohen Anteil der Lehramtsstudierenden liegt.
Durch gezielte MINT-Förderung, z. B. durch tasteMINT, soll sich das ändern. MINT-interessierte Mädchen bekommen die Gelegenheit, ihre Stärken kennenzulernen und weiterzuentwickeln. Denn oft, so Christina Wolff, unterschätzen die Mädchen ihre MINT-Kompetenzen. Im besten Falle werden sie durch tasteMINT dazu ermutigt, einen MINT-Beruf zu ergreifen.
In kleinen Gruppen werden den Mädchen individuelle Angebote in Form von themenspezifischen Projektwochen gemacht. Sie lernen bspw., eine Bewerbung mit Motivationsschreiben zu erstellen. Ein weiterer Baustein der Förderung ist das Assessorinnenmodell. Je zwei Mentorinnen pro Gruppe geben den Schülerinnen im Rahmen von Potential-Assessments qualifiziertes Feedback zu ihren Schlüsselkompetenzen. So erfahren die jungen Frauen, wie ihre MINT-, aber auch ihre Selbst- oder Sozialkompetenzen gesehen werden. Zusätzlich werden begleitende Workshops zur Gendersensibilisierung angeboten.
Christina Wolff hat als Koordinatorin von MINT-Förderprogrammen sehr gute Erfahrungen mit monoedukativen Angeboten gemacht. Die Schülerinnen in die Lage zu versetzen, selbstkompetent, gendersensibel und diversitybewusst zu handeln, würde auf diese Weise sehr gut funktionieren, sodass sich für sie die Frage stelle, ob es solche Angebote temporär in der Schule geben sollte.
Rasmus Andreassen, Schulleiter der Sønderskov Skolen in Sønderborg Dänemark, gab eine Zusammenfassung seiner Sicht auf die Unterschiede zwischen deutschem und dänischem Schulsystem.
- Die Unterschiede zwischen den Schulsystemen in Deutschland und Dänemark seien groß. Das dänische System ist flexibler und nicht so geschlossen.
- Die Schulkultur in Dänemark ist sehr unterschiedlich im Vergleich zu Deutschland. Das Verhältnis zwischen Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schüler ist deutlicher auf Augenhöhe. Die Lehrkräfte machen Hausbesuche, wenn es zuhause Probleme gibt. Bildung wird ganzheitlicher gedacht. Schülerinnen und Schüler werden zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern ausgebildet. Dazu werden die Kinder und Jugendlichen nicht nur als Schülerinnen und Schüler, sondern in ihrer ganzen Persönlichkeit in den Blick genommen.
- Um Schule neu denken zu können und andere Wege zu gehen, durch die Schülerinnen und Schüler besser auf die Zukunft vorbereitet werden, sei es notwendig, dass die Lehrkräfte motiviert sind. Viel Zeit wird von Rasmus Andreassen daher in die Kommunikation mit den Lehrkräften investiert.
- Trotz eines Schwerpunkts zum digitalisierten Lernen setzt die Schule auf Grenzen in der Mediennutzung. Seit einem Jahr gibt es, trotz anfänglicher Bedenken, ein Handyverbot in der Schule. Denn es sei essentiell, dass die Kinder und Jugendlichen interagieren und von Angesicht zu Angesicht miteinander kommunizieren. Das passiert nun mehr als vor dem Verbot. Für bestimmte Zwecke, z. B. um Videos zu drehen, dürfen sie das Handy aber ausleihen.
- Netzwerke zu knüpfen, ist von entscheidender Bedeutung für Schulen in Dänemark geworden. Die Schule muss sich der sie umgebenden Gesellschaft öffnen und sie zu sich einladen. Schule muss aber auch an andere Orte gehen.