Die Inputs
Siegfried Lieske, Stadtrat und Dezernent für Personal, Schule und Jugend der Stadt Göttingen, vertrat in diesem Salon die sozialräumliche Perspektive. Göttingen ist Teil der Bildungsregion Südniedersachsen, eine von insgesamt 31 in Niedersachsen. In Bildungsregionen vernetzen sich Akteure der formalen, non-formalen, informellen Bildung einer Region. Ziel ist es, ein abgestimmtes Bildungskonzept zu entwickeln und damit lebenslanges Lernen zu unterstützen. Das bezieht sich auf möglichst reibungslose Übergänge im Bildungsverlauf, aber auch auf das Lernen in der Freizeit außerhalb von Institutionen. Die Kooperation in Bildungsregionen ist freiwillig, langfristig und auf Augenhöhe, jedoch durch Kooperationsverträge verbindlich gestaltet. Das Land Niedersachsen unterstützt die Arbeit vor Ort durch personelle Ressourcen.
Siegfried Lieske stellte anhand von vier Thesen dar, wie Ganztagsschule aktive Mitgestalterin in einer Bildungsregion sein kann und welche Freiheiten und Gemeinsamkeiten Kooperation im Sozialraum braucht.
1. Die Ganztagsschule, die im Sozialraum verankert sein will, braucht verschiedene Professionen. Deshalb müssen die Verantwortlichen Zusammenarbeit ermöglichen, anregen, erwarten, fördern und wenn notwendig verlangen.
2. Der Ganztag ist einerseits Teil der Lebenswelt von Schülerinnen und Schüler, aber nicht der einzige. Andererseits ist Ganztagsschule Teil des Sozialraums. Ständige Rückkopplung und Arbeit am gegenseitigen Verständnis sind notwendig für gelingende Kooperation.
3. Eine der zentralen Gemeinsamkeiten der Zusammenarbeit ist aus seiner Sicht, dass alle an Ganztagsschule Beteiligten sich darüber einig sind, dass Bildung mehr ist, als das, was in der Schule gelernt wird.
4. Die Qualität der Ganztagsschule hängt von der Kommunikation und Kooperation der Partnerinnen und Partner ab.
Prof. Dr. Heinz Günter Holtappels, Institut für Schulentwicklungsforschung, ging in seinem Input insbesondere auf den Schwerpunkt Kooperationen zwischen Lehrkräften und weiteren pädagogischen Fachkräften innerhalb von Schule ein. Teamarbeit und Kooperationen sind wichtige Bestandteile pädagogischer Professionalität und bilden die Grundlage für die Entwicklung von Lernkultur an Schulen. Am Ende müsse aber durch Analyse bzw. Evaluation die Wirksamkeit von Kooperation beleuchtet werden. Außerdem betonte er, dass es wichtig sei, im Team kompetenzorientierte und lernwirksame Zusammenarbeit zu entwickeln. Dafür würden Zeitslots benötigt.
Die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ändere sich, ebenso wie Bildungs- und Qualifikationsanforderungen. Schule müsse daher immer wieder neu gedacht werden, z. B. durch neue Zeitstrukturen und Öffnung der Schule, durch konsequente Schülerorientierung mit Rücksicht auf die individuelle Lebenssituation oder ganzheitliches Lernen in Projekten. Ein Fokus müsse auch auf Lernförderung gelegt werden. Die große Ganztagsschulstudie StEG hat Förderangebote an Ganztagsschulen im Bereich Lesen, Naturwissenschaften und soziales Lernen unter die Lupe genommen und sie auf Fördereffekte abgeklopft. Hier muss Ganztagsschule an einigen Stellen noch besser werden, z. B. eher benachteiligte Schülergruppen mit niedrigerem Kompetenzniveau so fördern, dass sie den Abstand zu den guten Schülern deutlich verringern können.
Wolf Schwarz, Kultusministerium Hessen, legte dar, dass Kooperation einer der Bereiche im Hessischen Qualitätsrahmen für die Profile ganztägig arbeitender Schulen sei. Die Öffnung der Schule für außerschulische Kooperationen und verlässliche, transparente Strukturen der innerschulischen Kooperation würden zu den Ausgangsbedingungen für verschiedene, ganztägig arbeitende Schulen gehören. Er unterstrich, dass
1. Qualitätsrahmen vertikale und horizontale Kooperationen von Schule erfassen müssen,
2. Kooperationen mit Jugendämtern helfen würden, um Doppelstrukturen zu vermeiden und
3. Multiprofessionalität in Teams überaus wichtig sei.
Alle Beteiligten an Schule müssen seiner Ansicht nach regelmäßig zusammenkommen, um das Ganztagsangebot zu evaluieren. Dazu gehören neben den verschiedenen Professionen auch die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Träger der Jugendhilfe. Damit eine Kooperation gelingt, ist es unabdingbar, gegenseitige Erwartungen transparent zu machen, Zielsetzungen zu formulieren und ein gemeinsames Selbstverständnis zu entwickeln.
Er stellte den Hessischen „Pakt für den Nachmittag“ vor. Dieser zielt auf einen Ausbau von ganztägigen schulischen Angeboten ab. Land und Schulträger verpflichten sich hier gemeinsam auf ein verlässliches, bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungsangebot an Grundschulen. Mit dem Schuljahr 2017/18 nehmen 168 Grundschulen am Programm teil. Schule und außerschulische Partner gehen dabei eine enge Partnerschaft ein. Das erfordert gemeinsame Schulentwicklung, für die der „Pakt für den Nachmittag“ mindestens zwei Jahre Zeit pro Schule einräumt.
Er betonte die Bedeutung der Weiterbildung für schulische Entwicklungsprozesse. Die Serviceagentur Ganztägig lernen Hessen organisiert landesweit Angebote, z. B. auch für den Bereich Kooperation. Wie man Konzepte der Verzahnung entwickelt und auf Augenhöhe zusammenarbeitet oder einen ganzheitlichen Blick auf Kinder und Jugendliche bekommt, sind einige der Themen, um die es in der Weiterbildung geht. Schulen werden aber auch als Tandem zusammengebracht, um tragfähige Konzepte zu entwickeln.
Dr. Karin Kleinen, Fachberaterin im Landesjugendamtes des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), sprach aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe als Partnerin im Ganztag. Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule hat in Nordrhein-Westfalen eine hohe bildungspolitische Bedeutung. Das LVR-Landesjugendamt unterstützt diese Kooperation bereits seit den 1990er Jahren, z. B. durch Fachberatung. Eindrücke aus der Fachberatung sind, dass die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule noch immer keine Selbstverständlichkeit ist. Das betrifft das Verhältnis von Schul- und Jugendamt. So sind integrierte Planungsprozesse bislang kaum vorhanden. Die kommunale Bildungspolitik ist eher schulisch ausgerichtet und die kommunale Jugendhilfe fühlt sich oft nicht zuständig für Schule. Auch die Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Schule werden aus ihrer Erfahrung als Fachberaterin weniger. Jugendhilfe wird von Schule in der Regel als für die „schwierigen Fälle“ und den Kinderschutz zuständig angesehen. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse, der Fachkräftemangel und die sehr unterschiedlichen Standards erschweren eine Partnerschaft auf Augenhöhe zusätzlich.
Von allen Akteuren ist mehr Initiative gefragt: Freie Träger und Schulen sollten das Jugendamt als pädagogische Fachberatung und Partner in ihre Arbeit integrieren. Außerdem forderte Dr. Karin Kleinen eine Bildungsgesamtplanung, damit Übergänge zwischen Regelangeboten gut funktionieren.
Susanne Strobach, Ganztagskoordinatorin der Grundschule Arnsdorf in Sachsen, arbeitet eng mit außerschulischen Partnern zusammen – vor Ort in der Schule und an außerschulischen Lernorten wie Museen, Theater und einem Bauernhof. An Vormittagen finden Förderangebote in Mathe und Deutsch ebenso statt wie Bewegungsangebote, Basteln oder Computer-AGs, wie auch naturwissenschaftliche Experimente. Außerschulische Expertinnen und Experten an ihrer Schule sind zumeist freiberuflich tätig. Auch Lehrkräfte im Ruhestand mit besonderer Fachexpertise gehören zum Team. Ihre Erfahrungen haben gezeigt, dass Multiprofessionalität im Team als große Bereicherung wahrgenommen wird. Regelmäßige Treffen, dreimal pro Jahr, stützen diese Zusammenarbeit. Die Erfahrungen in der Ganztagskoordination haben gezeigt, dass eine Kooperation festzulegende Gemeinsamkeiten braucht. Rollen und Aufgaben aller Akteure müssen geklärt sein. Gleichzeitig braucht die Kooperation aber auch Freiheiten, in denen jeder seine individuellen Kompetenzen einbringen kann.