Praxiseinblick 1: Soziales Lernen – Schule als Gemeinschaft

Moderation: Franz-Josef Kamp, Niedersächsische Landesschulbehörde, und Daniela Wellner-Petsch, Serviceagentur Ganztägig lernen Berlin

Wie kann Schule das Gemeinschaftsgefühl fördern? Die Theo-Koch-Schule Grünberg setzt sich für gemeinsame Werte ein und berichtete über Erfahrungen mit dem bundesweiten Mentoren-Programm Balu und Du. Die Dr.-Theo-Schöller-Schule Nürnberg hat ein schuleigenes Curriculum zum Thema „Soziales Lernen“ entwickelt. Wie hat sich durch diese Stärkung sozialer Kompetenzen das Miteinander im Schulalltag verändert? Diese Frage beschäftigt auch die Projektschule „Schule: Kultur!“ IGS Roderbruch in Hannover. Mit ihrem breiten kulturellen Angebot zeigt sich die Schule als Gemeinschaft, die sich auch nach außen öffnet.

Die Inputs

Jörg Keller leitet die gebundene Theo-Koch-Schule Grünberg in Hessen. Die Theo-Koch-Schule ist eine schulformübergreifende integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe und Ganztagsangebot. Die Schule nimmt am bundesweiten Mentoring-Programm Balu und Du teil, organisiert durch den gleichnamigen Verein. Lehrkräfte an Grundschulen können Kinder, die besonderer Zuwendung bedürfen, für das Programm empfehlen. Der Verein vermittelt junge, engagierte Menschen als Mentoren (Balus), die in 1:1 Betreuung die Kinder (Moglis) über ein Jahr hinweg begleiten, z. B. bei Sprachproblemen helfen, Interessen fördern und einfach Zeit für die Kinder haben. Sie setzen also da an, wo es den Kindern noch fehlt.

Jörg Keller stellte in drei Thesen vor, wie sich die „Schule als Gemeinschaft“ entwickelt werden konnte:

1. Schulkultur bestimmt das soziale Handeln.
Jeder wünscht sich gegenseitigen Respekt und Wertschätzung, daher sei es wichtig, eine Kultur der Anerkennung zu entwickeln. Es sollten verbindliche Regeln (Schulordnung, Schulvereinbarung etc.) gelten, die von allen unterschrieben werden und möglichst transparent sind. Um die Schulkultur zu ändern, wurden konkrete Maßnahmen ergriffen. Der Schulgong wurde abgeschafft. Das sorgt nun für mehr Entspannung, sowohl am Anfang als auch zum Ende der Stunde. Andere Neuerungen sind z.B. sein neues, offenes Raumkonzept mit Klassenräumen ohne Türen und einem großen Marktplatz in der Mitte des Gebäudes, das Mentoren-Programm Balu und Du, ein Freiwilligenprogramm und viele andere Projekte unter dem Motto: Der Verschiedenheit Raum geben.

2. Die Schule ist Arbeitsplatz – nicht nur für Lehrkräfte.
Von der Eindimensionalität zur Mehrperspektivität in der Zusammenarbeit zu kommen, ist Teil des Entwicklungsprozesses, damit alle Berufsgruppen, die an Schule beteiligt sind, Akzeptanz erfahren und sich wertgeschätzt fühlen.

3. Um erfolgreich zu sein, benötigt Schule Kooperationen.
Die Schule hat viele außerschulische Kooperationspartner. Für ein gegenseitiges Geben und Nehmen zu sorgen, erzeugt ein gutes Miteinander. Beispielsweise werden Bänke, die in der Projektwoche entstehen, gespendet.

Jörg Keller möchte insgesamt eine Ermöglichungskultur etablieren. Das bedeutet, dass Projekte generell Vorrang vor Unterricht haben.

Zur Homepage: www.theokoch.schule

Siglinde Schweizer ist Schulleiterin der teilgebundenen Dr.-Theo-Schöller-Schule Nürnberg. Sie gab Einblicke in das schuleigene Curriculum Soziales Lernen. Das Curriculum wurde im Rahmen eines dreijährigen Schulversuchs von Lehrkräften der Schule entwickelt. Das Curriculum wird fortlaufend von Klassenstufe 5 bis 8 angewendet. Die Kompetenzen, die im Rahmen des Curriculums entwickelt werden, orientieren sich am Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife der Bundesagentur für Arbeit. Das sind bspw. Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz, aber auch Sorgfalt, Umgangsformen etc.

Jede der Kompetenzen steht etwa zwei Monate im Vordergrund und wird mit zahlreichen Aktionen und Methoden eingeübt. Im Anschluss wird anhand eines Beobachtungsbogens festgehalten, ob das Kind kompetent (geworden) ist oder noch Förderbedarf besteht. Auch nach Abschluss eines Moduls werden die jeweiligen Kompetenzen zur Festigung wiederholt. Das Curriculum „Soziales Lernen“ ist eng verknüpft mit dem Curriculum zur „Lern- und Lebensreife“.

Sieglinde Schweizer hat die Erfahrung gemacht, dass es Jahre dauert, neue Strukturen und Konzepte zu etablieren. Das hielt sie aber nicht davon ab, 2015 mit ihrer Schule „Starke Schule“ in Bayern zu werden. Sie handelt nach dem Motto: „Nicht das System entscheidet, wie erfolgreich eine Schule ist, sondern die Menschen, die dort arbeiten.“

An ihrer Schule hat sie vielfältige Projekte umgesetzt, hier nur zwei Beispiele:

  • den Debattierclub, in dem sprachliche Kompetenz auf jedem Niveau respektiert wird,
  • eine Kletterwand mit Kletterkursen zur Unterstützung des sozialen Lernens und der Teamentwicklung.

Sieglinde Schweizer ist sich sicher: „Die Kinder brauchen uns und unsere Arbeit, sie und ihre Familien haben sonst keine Lobby!“

Zur Homepage: www.theo-schoeller-hauptschule.de

Christiane Plath-Detlef leitet den Primarbereich an der gebundenen Gesamtschule IGS Roderbruch in Hannover. Im Projekt Schule: Kultur! (initiiert durch die Stiftung Mercator, das Niedersächsische Kultusministerium und das Ministerium für Wissenschaft und Kultur) bauen Schulen zusammen mit kulturellen Partnern ein fächerübergreifendes kulturelles Bildungsangebot auf. Ziel ist es u. a., Kindern und Jugendlichen aktive Teilhabe an einer Gemeinschaft zu ermöglichen und ihre kreativen Fähigkeiten zu stärken. Sie sollen Zugang zu Kunst und Kultur bekommen – unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Christine Plath-Detlef möchte alle schulischen Akteure, vor allem Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern, in die Schulgemeinschaft einbinden. Um das zu erreichen, sei eines der wichtigsten Elemente im Ganztag das Mittagessen. Mensa und Mittagessen sind ihrer Meinung nach Schulleitungsthemen. An ihrer Schule hat sie daher folgende Maßnahmen eingeführt:

  • den aid-Ernährungsführerschein in den unteren Klassen
  • Mensadienste als feste Aufgabe: Tisch decken, Vorlesen, welches Kind welches Essen ausgewählt hat
  • „begleitetes Mittagessen“, das heißt, dass die Lehrerinnen und Lehrer mitessen und
  • damit einhergehend geregelte Aufsichtszeiten (20 Minuten als Klassenleitung)

Der Ablauf des gemeinsamen Mittagessens sieht wie folgt aus: Es gibt einen „Schüsselservice“, das heißt, dass das Essen nicht portioniert ausgegeben wird, sondern die Kinder sich das Essen selbst nehmen. Sie können selbst entscheiden, was sie essen möchten. So wird weniger weggeworfen. Die Zufriedenheit aller Beteiligten steigt, wenn alle gemeinsam gut essen und sich in Tischgesprächen mit den Kindern auch über außerunterrichtliche Themen austauschen. Dieses Prinzip gelingt durchgängig bis in den 6. Jahrgang.

Zur Homepage: www.igs-roderbruch.de

Zwei Fragen – verschiedene Perspektiven

Wie kann Schule das Gemeinschaftsgefühl befördern?

Christiane Plath-Detlef berichtete, dass das Kinderparlament ein wertvolles Gremium zur Schülerpartizipation ist. Demokratieerziehung findet sie im Rahmen des Ganztags enorm wichtig. An der Schule gibt es auch einen Klassenrat.

Siglinde Schweizer findet ein gutes Raumklima im Ganztag essentiell. „Dufte Schule“ (Duftdiffuser mit Citrus- und Lavendelduft) und „Lüftungsmanager“ sind zwei Projekte, die sie an ihrer Schule durchführt. Außerdem gibt es in jedem Klassenraum eine CO2 Ampel, die anzeigt, wann gelüftet werden soll.

Schülerinnen aus dem Plenum fügten hinzu: Egal worum es geht, die Schülerinnen und Schüler sollten einbezogen werden – auch bei den Unterrichtsformen. Schulfeste, Klassenfahrten, generell gemeinsame Erlebnisse wirken verbindend. Gemeinsam zu organisieren, Verantwortung abzugeben und zu übernehmen, sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation mit der Schule steigt.

Wie kann Schule mit den unterschiedlichen Wertvorstellungen im interkulturellen Kontext umgehen?

Sieglinde Schweizer: Im Schülerparlament werden die Klassensprecher aller Klassen von Anfang an eingebunden, egal wie der Sprachstand ist. Für die Lehrerinnen und Lehrer gibt es regelmäßig interkulturelle Schulungen. Die Schülerinnen und Schüler können Beratung in Anspruch nehmen, z. B. zu Homosexualität.

Jörg Keller: Das Leitbild und der konsequente Umgang damit haben große Bedeutung für die Schule. Das Leitbild hängt überall im Schulhaus, auch in jedem Klassenraum. Patenschaften mit Schülerinnen und Schülern aus älteren Klassen haben sich bewährt.