Herausfordernde Situationen in Schule meistern: Der Ansatz der „Neuen Autorität“

13.09.2023 - Wie können im Handlungsfeld Schule Beziehungen auf Augenhöhe gestaltet und so Konflikte konstruktiv und respektvoll gelöst werden? Eine Antwort hierauf bietet der Ansatz der „Neuen Autorität“, den Rebecca Giersch im vergangenen Mikro-Impuls vorstellte.

© DKJS / Sandruschka

Im Schulalltag kommt es immer wieder zu herausfordernden zwischenmenschlichen Situationen. Gerade bei Unterrichtsstörungen, Grenzüberschreitungen und Konflikten mit oder zwischen Lernenden geraten Beteiligte unter Druck oder fühlen sich ratlos. Im Mikro-Impuls ging es deshalb darum, wie mithilfe des Ansatzes der „Neuen Autorität“ die eigene Präsenz gestärkt werden kann, um sich in solch schwierigen Situationen als handlungsfähig zu erleben. Vorgestellt wurde das Konzept von der ehemaligen Lehrerin, ausgebildeten Organisationsberaterin und Coachin Rebecca Giersch. Sie begleitet nach zehn Jahren im Schuldienst Organisationen, Teams und Einzelpersonen bei Veränderungsprozessen und legt dabei besonderen Wert auf die Gestaltung sicherer und wertschätzender Beziehungen.

 

DIE BASIS: BEZIEHUNG IM SCHULALLTAG

Entsprechend stellte die Impulsgeberin zunächst die Bedeutung von Beziehung für schulische Bildungsprozesse heraus. So bestätige sowohl ein Blick in die Erziehungswissenschaft als auch in die aktuellen Erkenntnisse der Neurobiologie, dass Lernen nicht ohne Fokus auf sichere Beziehungen gelingen kann. Insbesondere Wertschätzung und Anerkennung fungieren als wichtiger Katalysator für Neugier, Gedächtnisleistung, Kreativität und konzentriertes Arbeiten. „Aber auch Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte werden durch die Qualität von Beziehungen beeinflusst”, so Giersch. Bei Beziehungen handele es sich schließlich um einen wechselseitigen Prozess: Beziehungsqualitäten beeinflussen der Coachin zufolge sowohl Lernende in ihrer Motivation und ihrem Sozialverhalten als auch Lehrende in ihrem Wohlbefinden und ihrer beruflichen Zufriedenheit. Durch Rückkopplungsprozesse wirken sich derlei Aspekte zudem immer auf beiden Seiten aus. Damit sei die Schaffung sicherer Beziehungen nicht nur ein wichtiger Hebel der schulischen Gesundheitsförderung, sondern auch zentrale Grundlage, um Bildung nachhaltig zu gestalten.

 

DIE REALITÄT AN SCHULEN: KONFLIKTE UND GEWALT

Obwohl diese Erkenntnis nicht besonders neu ist und die meisten Pädagog:innen um die Bedeutung von Beziehungsarbeit wissen, zeichnen Studien doch immer wieder ein erschreckendes Bild: „Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 erfahren 60 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in der Schule Ausgrenzung, Hänseleien oder sogar körperliche Gewalt, und insgesamt ein Viertel fühlt sich an ihrer Schule nicht sicher“, fasste Giersch die Ergebnisse zusammen. Und auch Lehrkräfte seien zunehmend mit verbaler und physischer Gewalt konfrontiert.

Angesichts dieser Gewaltvorfälle sei es umso wichtiger, sich der eigenen Reaktionsmuster im Falle eines Konflikts bewusst zu sein. Zur Veranschaulichung stellte Giersch daher häufige Reaktionsmuster vor, die meist eher zu einer weiteren Eskalation der Situation führen. Dazu gehöre etwa die Dominanzorientierung, im Zuge derer ein Machtspiel aus Angst um Autoritätsverlust geführt wird, oder auch die Unterwerfung, welche sich durch eine Konfliktvermeidung äußert. „Derlei Reaktionen sind Brutstätten für gewalttätiges und grenzüberschreitendes Verhalten“, resümierte die Referentin. Daher sei das genaue Beobachten und Reflektieren der eigenen Verhaltensweisen sehr entscheidend, wenn es vermehrt zu herausfordernden Situationen und instabilen Beziehungen im Schulalltag kommt.

 

STÄRKE STATT MACHT: DIE PRINZIPIEN DER „NEUEN AUTORITÄT“

Vor dem Hintergrund der Relevanz sicherer Beziehungen und der Herausforderung, Konflikten konstruktiv und gewaltfrei zu begegnen, ist auch der Ansatz der „Neuen Autorität“ zu verorten. Giersch zufolge bietet der Ansatz eine Antwort auf die Frage, wie man in herausfordernden Situationen handlungssicher bleiben und gleichzeitig die Beziehung zu seinem Gegenüber stärken kann. „Gerade diese Gleichzeitigkeit von ‚Zügel-in-der-Hand-haben‘ und der Gestaltung einer guten Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung war für mich ein großer Aha-Moment – denn es geht beides!”, so die Impulsgeberin.

Damit grenzt sich der Ansatz auch deutlich von Autoritätsvorstellungen ab, die mit Macht, Kontrolle oder dem gegenteiligen Laissez-Faire verbunden sind. Die nicht unumstrittene Begrifflichkeit „Neue Autorität“ wird daher auch von verschiedenen Autor:innen durch andere Begriffe ersetzt. Auch Giersch spricht aufgrund der systemischen Grundlage des Ansatzes bevorzugt von „Systemischer Autorität“. Gemeinsam mit der humanistischen Grundlage und dem Prinzip des „gewaltlosen Widerstands“ lässt sich der systemische Charakter des Ansatzes in eine Haltung übersetzen, die das problematische Verhalten einer Person von ihrem Wesen zu trennen vermag, auf Machtkämpfe verzichtet und stattdessen auch in schwierigen Situationen mit Beharrlichkeit, Empathie und Transparenz die gemeinsame Beziehung zu stärken versucht. Giersch zufolge zeigt sich das zum Beispiel, indem eine Lehrkraft problematisches Verhalten nicht durch Wegsehen duldet, sondern das Hinzuziehen des Leitungsteams offen kommuniziert, um transparent zu bleiben und mögliche Konsequenzen mit einem zeitlichen Abstand zu beschließen.

 

INSTRUMENTE: BEZIEHUNG GELINGEND GESTALTEN

Neben der Verkörperung der Grundprinzipien des Ansatzes ist außerdem die Präsenz als Grundlage zur Schaffung „Neuer Autorität“ zu sehen. Diese hat, der Referentin zufolge, eine physische, emotional-moralische, intentionale, internale, pragmatische und systemische Dimension. „Übersetzt in eine Haltung heißt das: ‚Ich bin verlässlich. Ich bin da und ich bleibe da, auch wenn es schwierig wird. Ich bin die erwachsene Person, die Führung übernimmt.’”, erklärte Giersch.

Um in Konflikten ein klares Gegenüber zu sein und trotzdem in Beziehung zu gehen, sei außerdem das Konzept der „wachsamen Sorge“ zu empfehlen. Hier gehe es darum, je nach Beziehungsqualität einen anderen Zustand der Aufmerksamkeit und andere Beziehungsgesten zu wählen. So sei etwa bei den ersten Anzeichen problematischen Verhaltens eine Intensivierung des Kontakts ratsam, während bei einer weiteren Eskalation der Schutz von Personen, Werten oder auch Gegenständen an Bedeutung gewinne. „Wichtig ist jedoch, immer in Beziehung zu bleiben und Beziehungsgesten nie abzubrechen“, plädierte Giersch.

 

BEISPIELE: NEUE AUTORITÄT“ IN DER KLASSE UND IM KOLLEGIUM

Was genau alles hinter dem Ansatz der „Neuen Autorität“ steckt und wie dieser ganz praktisch umgesetzt werden kann, illustrierte die Vortragende an zwei konkreten Beispielen aus der Schulpraxis. Im Falle eines Schülers, der sich durch aggressives Verhalten und häufiges Fernbleiben vom Unterricht auszeichnet, gehöre es etwa zu den Maßnahmen der „Neuen Autorität“, in den offenen Austausch zu gehen, sich im Kollegium auf eine gemeinsame Zielstellung zu einigen, den Schüler aktiv am Gespräch zu beteiligen und Familie, Freunde oder auch Bekannte als Unterstützer:innen zu gewinnen. Geht es jedoch mehr um die Lösung von Herausforderungen im Kollegium, könne etwa die Körbe-Methode sinnvoll sein: Diese lässt durch das Sammeln von Problemen zunächst Raum für Negatives, das verschiedenen Kategorien der Lösbarkeit zugeordnet und schließlich in Ziele umformuliert wird, aus denen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden können.

 

DIE WICHTIGSTEN ZUTATEN

Die zwei unverzichtbaren Grundbedingungen sowie den Anstoß, den es braucht, um den Ansatz der „Neuen Autorität“ in der Schule gelingend umzusetzen, fasste Rebecca Giersch wie folgt zusammen:

KLEINE SCHRITTE – Fragen Sie sich zunächst: „Was ist der nächste, noch so kleine Schritt?” Große Sprünge sind weder notwendig, noch besonders ratsam. Machen Sie lieber einen kleinen Schritt als keinen, und beobachten Sie genau, welche Veränderung dieser bereits mit sich bringt.

SELBSTREFLEXION – Niemand ist perfekt. Seien Sie daher wohlwollend mit sich selbst, wenn es einmal nicht auf Anhieb funktioniert. Wichtig ist nur, dass Sie sich immer eine Bereitschaft zur Selbstreflexion bewahren, damit Sie aus Fehlern lernen können.

HALTUNG – Sagen Sie „Ja” zu Kooperation und Beziehung. Denn gerade in herausfordernden Situationen ist es wichtig, sich der Bedeutung stabiler Beziehungen bewusst zu sein. Die Haltung ist entscheidend!

 

Beim gemeinsamen Austausch im Anschluss des Impulses gab es Gelegenheit, gemeinsam einen dezidierten Blick auf den Transferprozess von einer „alten“ hin zur „Neuen Autorität“ zu werfen. Dabei wurde deutlich, dass eine Ablösung alter Denkmuster nicht durch Beschämen und Überfrachten mit neuen Begrifflichkeiten gelöst werden kann, sondern viel Ausdauer, Beharrlichkeit und einer sicheren Beziehung bedarf. Einig war man sich, dass der wertschätzende Umgang in der Klasse und im Kollegium zu Wohlbefinden und Freude an der Arbeit führt – was die Beschäftigung mit dem neuen Ansatz eben auch so wertvoll macht. Schließlich sei das Besondere an der „Neuen Autorität“, dass man nicht nur intuitiv reagiert, sondern sehr bewusst agiert, damit man nicht nur Konflikten handlungssicher begegnen kann, sondern auch Raum für Kooperation, Austausch und Wertschätzung schafft.


Die Reihe „Mikro-Impulse” ist ein Angebot von „LiGa – Lernen im Ganztag” Sachsen-Anhalt und bietet in einem knackigen Format (30 min Impuls und 15 min Austausch) Anregungen, praktische Ideen und Umsetzungsbeispiele rund um die Themen Schule, Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie Ganztag.

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