Friederike Stiller ist 16 Jahre alt, spielt Klavier und macht Leichtathletik. Sie geht in die 11. Klasse des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Berlin. Als Leistungsfächer hat Friederike die Fächer Englisch, Chemie und Mathe plus* gewählt. „Ich mag Naturwissenschaften total gerne“, sagt sie über sich selbst. Die interessierte Schülerin engagiert sich viel in ihrer Schule. Sie arbeitet in verschiedenen Gremien mit, leitet die SV und ist Schulsprecherin.
Deine Schule nimmt an dem Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ teil. Bist Du darin involviert?
Ich war vorletztes Jahr in der LiGa-Gruppe. Wir haben uns viel damit beschäftigt, wie LiGa an unserer Schule umgesetzt wird – zum Beispiel die Einführung der „neuen Zeiten“. Das ist unser 80-10-Minuten-Modell.
Wie genau funktioniert das Modell?
Früher hatten wir 90-Minuten-Blöcke. Jetzt sind sie nur noch 80 Minuten lang. Alle weggefallenen 10 Minuten werden so summiert, dass wir jede Woche zwei extra Blöcke bekommen.
Ein Block ist der sogenannte LernRaum bzw. StudienRaum in der Oberstufe. Das ist wie Freiarbeit: Wir können unsere Hausaufgaben machen, an unseren individuellen Baustellen arbeiten und die Zeit nutzen, um Partnerarbeit mit anderen Leuten – vielleicht auch aus anderen Klassen – zu machen. Oder um mit den Lehrerinnen und Lehrern zu sprechen. Die ganze Schule hat zur gleichen Zeit LernRaum/StudienRaum, das heißt in jedem Raum ist eine Lehrkraft. Man findet also immer jemanden, zu dem man mit seinem Problem gehen kann. Ich finde, das ist ein gutes Lernklima. Vor allem jetzt in der Oberstufe wird der StudienRaum viel produktiver. Ich habe bei mir wirklich gemerkt, dass diese Art zu arbeiten das selbstständige Lernen fördert. Das Schöne ist, dass die Schülerinnen und Schüler, die jetzt neu auf die Schule kommen, damit aufwachsen. Sie wissen, wie sie den LernRaum produktiv nutzen können.
Der zweite zusätzliche Block ist die LernZeit bzw. die StudienZeit. Hier wurden auch von jedem Block 10 Minuten weggenommen. Fünf Minuten für den LernRaum, den ich gerade erklärt habe, und fünf Minuten für die LernZeit. So verlieren wir zum Beispiel über das gesamte Schuljahr fünf Blöcke à 80 Minuten Mathe. Die Mathelehrkräfte nehmen deshalb sozusagen eine Lerneinheit aus dem Schuljahr raus und erstellen dazu differenzierte Arbeitsblätter und Lernmaterial, unsere sogenannten LernJobs.
Wir haben dann im Schuljahr fünf Blöcke LernZeit/StudienZeit Zeit – also fünf Wochen lang immer einen Block – um den LernJob „Mathe“ selbstständig zu bearbeiten. Das können wir gemeinsam mit Klassenkameraden machen oder alleine.
Jedes Fach bekommt eine bestimmte Anzahl an LernZeit-Blöcken, für die der Fachbereich dann LernJobs erstellt. Die Anzahl wird durch die aufsummierten „verlorenen“ 10 Minuten berechnet. Man hat also mehrere unterschiedliche LernZeiten im Jahr. Es gibt auch fächerübergreifende LernZeiten. Zum Beispiel gibt es eine Kunst-Musik-Deutsch-Kombination über Barock, da die summierte Zeit der einzelnen Fächer für eine eigene LernZeit nicht lohnen würde.
Grundsätzlich ist es so gedacht, dass wir uns eine Lerneinheit anhand der Lehrmaterialien selbst beibringen. Das funktioniert ganz gut. Am Ende steht meist ein Produkt. In Französisch haben wir beispielsweise ein Buch gelesen und zum Abschluss ein Buchpräsentationsplakat erstellt.
Durch die LernZeit/StudienZeit lernt man sehr gut, selbstständig zu arbeiten und sich zu motivieren, ein Thema durchzuziehen.
Gibt es noch andere neue Angebote im Zuge des 80-10-Minuten-Modells?
Den LernLift, LernAkademie und die LernModule. Schülerinnen und Schüler, die irgendwo ein Problem haben oder in einem Fach nicht gut sind, werden durch den Lift wieder nach oben gebracht. Der LernLift ist wie eine Nachhilfe, die von der Schule organisiert wird. Er findet während des LernRaumes/StudienRaumes statt und wird teilweise von Schülerinnen und Schülern, Ehemaligen oder Lehrkräften geleitet. In den LernLift schreibt man sich nicht selbst ein, das macht die Lehrkraft. Und dann muss man dahingehen. Nicht jeder hat die Muße, sich nach der Schule wirklich noch mal mit Nachhilfe zu beschäftigen. Deshalb empfinde ich das als ein sehr gutes Angebot.
Das Gegenteil davon ist die LernAkademie. Wenn man besonders gut in der Schule ist, kann man sich so in einem Fachbereich fördern lassen. Man muss sich aber bewerben. Die LernAkademie findet in der StudienZeit bzw. LernZeit statt. Schüler, die für die LernAkademie angenommen wurden, müssen die eigentlichen LernJobs dann nicht so intensiv bearbeiten. Ich war letztes Jahr in einer LernAkademie. Wir haben zu neunt bei dem Projekt Lab2Venture mitgemacht und uns mit Gentechnik beschäftigt. Wir haben uns selber weitergebildet.
Ein Jahr lang haben wir uns im Zeitrahmen der LernAkademie mit dem Thema beschäftigt und eine Website programmiert, die das Thema für andere Schüler gut erklärt. Wir hatten unser eigenes Wissenschaftsprojekt. Es gab aber auch ganz andere LernAkademien, die auch sehr spannend waren.
Und was sind die LernModule?
Die LernModule finden im LernRaum statt und sind für alle interessierten Schüler offen. Es geht darum, sich in einer Gruppe mit einem spannenden Thema zu beschäftigen. Oft wird dieses Format zur Vorbereitung auf Wettbewerbe genutzt.
Schüler haben übrigens auch die Möglichkeit, selbst eine LernAkademie oder ein LernModul ins Leben zu rufen. Man braucht nur eine Idee, einen Aufsichtslehrer und am Ende des Projekts sollte ein Produkt stehen.
Wie profitierst du persönlich von diesem neuen 80-10-Minuten-Modell?
Für mich hat sich natürlich geändert, dass die Blöcke nur noch 80 Minuten lang sind – also 10 Minuten weniger Unterricht. Diese Zeiten kann ich sinnvoll für mich nutzen. Wir nennen sie immer „neue Zeiten“ – also den StudienRaum und die StudienZeit. Ich habe die Möglichkeit, im StudienRaum Projekte mit anderen Schülern zu machen oder gegebenenfalls auch meine Hausaufgaben. Das ist für mich sehr sinnvoll, weil ich am Nachmittag total viel zu tun habe.
Wir haben ein Hausaufgabenheft von der Schule. Da ist ein extra Teil für den StudienRaum und die StudienZeit drin. Beim StudienRaum können wir zum Beispiel eintragen, was wir erreichen wollen, was wir machen wollen und was wir dann tatsächlich gemacht haben. So können auch die Lehrer gucken, wie wir gearbeitet haben. Es ist zum Selbstorganisieren eigentlich eine schöne Hilfe.
Wie wirkt sich diese Zeit auf das Miteinander der Schülerinnen und Schüler untereinander aus?
Es wirkt sich sehr gut aus. Vor allem, weil man sich gegenseitig helfen kann. Wenn ich in der StudienZeit zum Beispiel ein Problem mit Physik habe, kann ich zu jemandem gehen, von dem ich weiß, dass er gut in Physik ist. Dann können wir die Aufgaben gemeinsam machen. Ich finde, die „neuen Zeiten“ sind eine sehr gute Möglichkeit, um den Kontakt zwischen den Schülerinnen und Schülern zu stärken. Und auch Teamarbeit zu fördern.
Wir können den StudienRaum/LernRaum nutzen, um Projekte oder Präsentationen wirklich zusammen zu machen und nicht einfach nur Aufgaben aufzuteilen. Wir dürfen dafür ja zum Beispiel auch in die Computerräume gehen. Ich denke, dass wir so gut gefördert werden. Und man lernt auch, mit Problemen nicht immer zur Lehrkraft zu rennen.
Wie findest Du die neuen Zeiten?
Ich habe mir viele Gedanken über das neue Konzept gemacht, als es noch in der Entwicklungsphase war. Denn an manchen Stellen hat es noch gehapert. Alle müssen erst mal Erfahrungen sammeln. Irgendwann läuft es dann, man muss geduldig sein. Es braucht für solche Projekte viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Und viele Räume. Die Raumknappheit war zu Beginn ein sehr großes Problem an unsere Schule. Aber das kriegen wir immer besser hin.
* Bei dem Leistungsfach Mathe Plus bearbeiten die Schülerinnen und Schüler zusätzlich zu dem normalen Unterrichtsmaterial schon Aufgaben aus der Uni. So können sie schon zwei Scheine für das Studium erwerben.