Räume der Veränderung

17.10.2019 - Ein Gastbeitrag des Systemischen Beraters und Prozess-Moderators Andreas Leipelt zur Methode "Räume der Veränderung".

© DKJS / A. Kolata

Was ist die Methode „Räume der Veränderung“?

Ziel der Methode ist es, die emotionalen Dynamiken zu verdeutlichen, die in schulischen Veränderungsprozessen ablaufen. Die Befindlichkeiten der Betroffenen in den einzelnen Phasen werden eindrucksvoll herausgearbeitet. Aus diesen Erkenntnissen heraus können konkrete Ideen abgeleitet werden, wie die Entwicklung konstruktiv weitergeführt werden kann. Über die Metapher einer Wohnung werden vier verschiedene Räume vorgestellt, die jeweils eine Phase im Veränderungsprozess darstellen.

Die Methode „Räume der Veränderung“ ist:

  • zum einen ein Diagnose-Instrument, um herauszufinden, in welcher emotionalen Phase sich die jeweils Betroffenen befinden,
  • zum anderen ein Planungs-Instrument, um konkrete Interventionen zu planen.

Angewendet werden kann die Methode zu Beginn einer Veränderung, sowie als Krisenintervention, wenn ein Prozess ins Stocken geraten ist. Zum einen kann das Leitungsteam / die Steuergruppe die Methode selbst nutzen, um gemeinsam wirksame Maßnahmen abzuleiten. Zum anderen kann die Methode mit allen Betroffenen durchgeführt werden, um die jeweils eigenen Befindlichkeiten zu reflektieren,  die Reaktionen der anderen zu verstehen und aus diesen Erkenntnissen neue Energie für das weitere Vorgehen zu schöpfen.

Die wissenschaftliche Basis der Methode bietet die Kurve der Veränderung nach Elisabeth Kübler-Ross. Dieser Theorie zufolge reagieren Menschen auf Veränderungen, indem sie folgende sieben emotionale Phasen durchlaufen:

Ablauf der Methode:

Idealerweise erläutert die Moderation zu Beginn die Theorie der „Kurve der Veränderung“, um beim Gang durch die Räume immer wieder auf diese Bezug nehmen zu können. Die Räume versinnbildlichen – in Anlehnung an die Kurve der Veränderung – wie wir Menschen grundsätzlich mit Veränderungen umgehen – sei es beruflich oder privat. Daher ist es wichtig in der Anmoderation darauf hinzuweisen, dass die Reihenfolge immer gleichbleibt und dass es keine Abkürzungen gibt.

1. Schritt: Gang durch die vier Räume

Die Moderation führt die Teilnehmenden durch die vier vorbereiteten Räume. Die Metapher der vier Räume kann – drinnen wie draußen – mit vier Stellwänden angedeutet werden, die in einem Kreuz so angeordnet sind, dass jedes Zimmer zwei gestaltbare Wandflächen hat.

Raum der Zufriedenheit

Der erste Raum ist der „Raum der Zufriedenheit“. Wer sich hier aufhält, hat sich mit dem Status Quo arrangiert. In diesem Raum fühlen wir uns relativ wohl und sind zufrieden. Einige beschweren sich auch in diesem Raum über dies und das, wollen an dem Status Quo jedoch unter allen Umständen festhalten. Claes Janssen nannte diesen Raum daher auch den „Raum der Selbstzufriedenheit“. Dieser Raum ist vergleichbar mit der Komfortzone des gleichnamigen Modells: Alle haben die erforderlichen Kompetenzen und es gibt wenig Heraus- und kaum Überforderung. Wir fühlen uns sicher. Wir haben uns „komfortabel eingerichtet“. Einige wenige haben es sich sogar auf der angebauten Sonnenterasse so gemütlich gemacht, dass sie vermutlich nur mit größter Anstrengung dazu zu bewegen sein werden, diese jemals wieder zu verlassen – wenn überhaupt. Mit Blick auf die ‚Kurve der Veränderung‘ ist dieser Raum vor dem Schock angesiedelt und beschreibt den Zustand vor der Veränderung.

Selbst erlebter Veränderungsprozess als roter Faden

Es bietet sich an, dass die Moderation einen selbst erlebten Veränderungsprozess aus dem schulischen Kontext als roten Faden nutzt, um die Teilnehmenden anhand einer konkreten Geschichte durch die vier Räume zu führen.

Wichtig für einen gelingenden Veränderungsprozess ist nun, dass es gelingen muss, die „Einwohner“ dieses Raumes so aufzurütteln, dass sie bereit sind, ihn zu verlassen. Dies wird vor allem erreicht durch

  • zeitnahes Informieren über die Veränderung und ihre Wurzeln
  • ein Problembewusstsein bilden, indem die Ausgangslage des Veränderungs-vorhabens transparent gemacht und geklärt wird
  • eindringliches Verdeutlichen der Relevanz der Veränderung
  • authentisches Veranschaulichen, dass die Leitung / die Verantwortlichen hinter der Veränderung stehen

Raum des Widerstands

Wir nehmen nun an, dass ein Ereignis stattgefunden hat, das so stark war, dass es einen Schock auslösen konnte. Wir wähnen den Status Quo in Gefahr und sind nun aufgebracht: Willkommen im zweiten Raum, im „Raum des Widerstands“! Dieser Raum ist auch bekannt als „Raum der Verleugnung“, da die Aufregung groß ist: „Die spinnen wohl!“  – „Ohne mich!“ – „Sollen die das doch selbst machen!“ Diese Ausrufe verdeutlichen unseren emotionalen Zustand in diesem Raum: Er ist geprägt von Trotz, Ablehnung und Verweigerung, die sich speist aus tieferen Gefühlen der Angst, des Unbehagens, der Frustration und der Verzweiflung. Die Gefühle in diesem Raum sind besonders stark, was die Heftigkeit der Abwehrreaktionen erklärt. Die ersten beiden Phasen der „Kurve der Veränderung“ – Schock und Verneinung – sind also in diesem Raum verortet. Hier sei noch angemerkt, dass es einige wenige geben kann, die die ablehnende Haltung in diesem Raum so verinnerlich haben, dass sie einen Kerker in den Boden eingelassen haben, und – nachdem sie hinter sich zugeschlossen haben – den Schlüssel weggeworfen haben. Es ist oft unmöglich, wirklich alle Betroffenen dazu zu bringen, mit in den nächsten Raum zu kommen.

Die Moderation weist darauf hin, dass es zwar keine angenehmen Reaktionen sind, die in diesem Raum gezeigt werden. Wichtig ist jedoch wahrzunehmen, dass sich die Betreffenden offensichtlich nicht mehr im Raum des „Status Quo“ befinden. Mit Blick auf den Gesamtprozess ist dies bereits als klarer Erfolg zu werten. Diese Erkenntnis kann den Verantwortlichen helfen, das in dieser Situation wirksame Verhalten an den Tag zu legen:

  • den Unmut gelassen aushalten (das kann so weit gehen, sich auch mal anschreien zu lassen) – aber auf keinen Fall persönlich nehmen!
  • das Verhalten nicht negativ bewerten und zugewandt bleiben
  • die Ängste und Sorgen ernst nehmen
  • auf Empfang schalten und wirklich zuhören

Dabei halten sie am Ziel des Veränderungsvorhabens fest und zeigen sich bzgl. der Art und Weise der Umsetzung partizipativ und flexibel.

Raum der Verwirrung

Wieder gehen wir davon aus, dass es gelungen ist – mit Blick auf die Kurve der Veränderung – Akzeptanz zu schaffen für die Notwendigkeit der Veränderung. Die oben genannten Verhaltensweisen sind dazu übrigens ausgesprochen förderlich. Herzlich willkommen, also im „Raum der Verwirrung“! Zwar sind sich in diesem Raum nun alle einig, dass etwas passieren muss. Was genau und wie genau es gehen kann, ist jedoch keinem klar. Der Raum ist geprägt von Unsicherheit und Chaos. Die gelernten Strategien zur Problemlösung greifen nicht. Zu der Trauer, sich von liebgewonnenen Verhaltensweisen lösen zu müssen, kommt also die Hilflosigkeit nicht zu wissen, wie die neuen Herausforderungen anzupacken sind. Frust macht sich breit, vor allem ausgelöst durch das ungute Gefühl, dass „die bisherige Arbeit nicht gut gewesen sei“. Nicht von ungefähr beschreibt die „Kurve der Veränderung“ in diesem Raum ihren absoluten Tiefpunkt. Die Situation ist vor allem deshalb so unkomfortabel, da wir uns von bisher wirksamen Handlungsstrategien verabschieden müssen, ohne dass die Neuen bereits in Sicht sind.

Für die Verantwortlichen ist es extrem wichtig zu verstehen, wie desolat und unwohl sich die Menschen in diesem Raum fühlen. Es ist daher der Raum, in dem es keiner sonderlich lange aushalten kann. Falls nicht in absehbarer Zeit Aussicht auf Besserung oder Unterstützung besteht ist die Gefahr groß, dass einige den Geheimgang finden, der zurück ins Zimmer des ‚Status Quo‘ führt. Wenn nichts anderes mehr hilft, kann man immer noch so tun, als gäbe es keine Veränderung. Für die Verantwortlichen bedeutet das, dass sie

  • empathisch um die Situation der Menschen in dieser Situation wissen
  • verständnisvoll und zugewandt auf die artikulierten Befürchtungen oder Wünsche eingehen
  • rasch für Unterstützung, Beratung oder Fortbildung sorgen
  • eine Perspektive anbieten / gemeinsam entwickeln, wie es weitergeht – dies kann auch eine gemeinsame Zielvorstellung/Vision sein

Raum der Erneuerung

Nur wenn das gelingt ist es möglich, in den vierten Raum weiterzugehen: in den „Raum der Erneuerung“. Wir haben uns auf den Weg gemacht, probieren Neues aus, lernen aus Fortschritten wie aus Rückschlägen und entwickeln neue Kompetenzen. Ein Gefühl der Sicherheit kehrt zurück, neue Routinen werden etabliert und wir gewinnen wieder Handlungssicherheit. Die letzten drei Phasen der ‚Kurve der Veränderung‘ spielen sich in diesem Raum ab.

Für die Verantwortlichen bedeutet die Dynamik in diesem Raum vor allem:

  • eine Kultur der Ermutigung zu etablieren
  • ein coachendes Verhalten an den Tag zu legen
  • eine Fehlerkultur zu schaffen, d.h. Fehler nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern zu ermutigen, Fehler zu machen und gleichzeitig sicherzustellen, dass alle Beteiligten aus den Fehlern gemeinsam lernen
  • ganz besonders stark auf Bestätigung und Wertschätzung zu achten

Zusammenfassend ist die Erkenntnis wichtig, dass jeder Raum nicht nur seine Berechtigung hat, sondern für einen gelingenden Veränderungsprozess unabdingbar ist.

2.    Schritt: Ergänzen der Aussagen in den Räumen

Die Teilnehmenden werden nun aufgefordert, sich – in Bezug auf ihr jeweiliges Veränderungsvorhaben – an Sätze bzw. an Aussagen zu erinnern, die sie an ihrer Schule gehört haben. Sie werden dazu aufgefordert, jede Aussage dem entsprechenden Raum der Veränderung zuzuordnen und auf das entsprechende Flipchart zu schreiben. Dies ist leer bis auf den Titel „Zu ergänzen:“.

Gerne können auch Gefühle hinzugefügt werden, die in den jeweiligen Räumen wahrgenommen wurden. Hierfür sind noch weitere rote Moderationskarten zur Verfügung zu stellen.

Im Anschluss haben alle Gelegenheit, durch die vier Räume zu flanieren und die Sätze und Aussagen zu lesen. Es kann sich eine kurze Reflexion im Plenum anschließen. Dieser Schritt ist sehr wertvoll, da die Teilnehmenden die Erfahrung machen, dass sich fast alle Äußerungen zuordnen lassen – und zwar ohne lange nachzudenken. Nach dieser Phase ist der Grundgedanke der Methode verinnerlich und akzeptiert – nun kann mit der Diagnose begonnen werden.

3.    Schritt: Individuelle Diagnose der Situation

Ziel dieser Phase ist es, differenziert herauszuarbeiten, in welchem Raum der Veränderung sich die Betroffenen / Beteiligten befinden (mehrheitlich und rein subjektiv eingeschätzt). Vorher haben sie auf einem Flip-Chart die jeweils relevanten „Anspruchsgruppen“ visualisiert. Um herauszufinden, welche Personen bzw. Personengruppen dazugehören, wird folgende Frage beantwortet: Wer hat Einfluss auf den Erfolg des Veränderungsvorhabens?

Das Flipchart könnte wie folgt aussehen:

In welchem Raum befinden sich (mehrheitlich)…
…die Schulleitung
…die Lehrerinnen und Lehrer
…die Erzieherinnen und Erzieher
…weitere pädagogische Professionen
…die Schülerinnen und Schüler
…die Eltern
…die Projekt-/Steuergruppe

Die Teilnehmenden benötigen ein DinA4-Blatt, auf dem die Räume eingezeichnet sind und führen eine individuelle Einschätzung durch. Visualisiert werden kann das Ergebnis anschließend durch Farbpunkte oder Kürzel. Auf die Metaplan-Wand des entsprechenden Raums kann ein DinA3-Blatt angebracht werden mit einer leeren Tabelle mit den oben genannten Professionen. Die Teilnehmenden können ihre Ergebnisse nach der individuellen Analyse mit Klebepunkten oder Strichen in diese Tabellen übertragen. So ergibt sich eine gemeinsame Übersicht der Einschätzungen. Alternativ kann die Visualisierung für alle vier Räume auch auf einem Flipchart erfolgen.

4.    Schritt: Gemeinsames Diskutieren der Ergebnisse

Es folgt das Gegenüberstellen der Ergebnisse und das Diskutieren der Interpretationen bzw. der dahinter liegenden Hypothesen. Es geht darum, Erkenntnisse für das weitere Gestalten des Veränderungsprozesses (der Veränderungsprozesse) zu finden: Diese Phase kann durch einige wenige Fragen strukturiert werden:

  • Mit Blick auf das Gesamtergebnis: Was fällt Ihnen auf?
  • Was könnten die Gründe dafür sein, dass sich die Personen(gruppen) in den jeweiligen Räumen aufhalten?
  • Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Haltungen zum Veränderungsvorhaben?
  • Wo besteht aus Ihrer Sicht der dringlichste Handlungsbedarf?
  • Mit Blick auf die Personengruppen in den jeweiligen Räumen: Wie könnten sie ganz konkret unterstützt werden, in den jeweils nächsten Raum zu wechseln?
  • Angenommen, der Veränderungsprozess liefe wie am Schnürchen und genau so, wie es idealerweise sein sollte: Woran konkret könnten Sie dies bemerken?

5.    Schritt: Klären der gegenseitigen Erwartungen

Falls mit dem Team einer Schule gearbeitet wird, kann der folgende Schritt ein sehr wirksamer sein: In Kleingruppen (nach den jeweiligen Rollen aufgeteilt – siehe das Flipchart unter 2) – reflektieren die Beteiligten die Erwartungen an die jeweils anderen Rollengruppen. Dazu können sie sich an den folgenden beiden Fragen orientieren:

Für einen positiven Verlauf unseres Vorhabens:

  • Was brauche ich von den anderen Rollen/Personen/Personengruppen?
  • Was bin ich bereit, beizutragen?

Vorbereitung:

Die Methode kann in vier miteinander verbundenen Räumen durchgeführt werden. Alternativ können in einem großen Raum vier Metaplanwände in Form eines + aufgestellt werden. Die entstehenden vier Räume können wie folgt gestaltet werden:

  • den Titel auf eine Moderationskarte/-fahne/-wolke schreiben und anbringen
  • einen Bereich mit den Gefühlen gestalten (z.B. auf einzelnen roten Moderationskarten) unter dem Titel „Gefühle“
  • ein Flip / ein halbes Flip mit den typischen Sätzen anbringen
  • ein leeres Flip / halbes Flip mit dem Titel „Zu ergänzen:“ neben dem Flip mit den typischen Sätzen anbringen
  • ein Verkehrsschild „Durchfahrt verboten“ (z.B. auf Flip gemalt), um den Übergang von Raum eins zu vier zu blockieren

Diese Elemente können mit den folgenden Inhalten ausgefüllt werden:

6.    Quellen:

Für die Kurve der Veränderung:
Elisabeth Kübler-Ross, in: The international journal of psychiatry in Medicine, 1970.  Die einzelnen Stadien wurden abgeleitet aus der Art und Weise, wie Patienten mit der Information umgingen, dass sie unheilbar krank sind. Daraus wurde ein generelles Modell entwickelt, wie wir Menschen mit Veränderungen umgehen. Dieses Modell wurde durch weitere Studien bestätigt, z. B. durch

  • Dr. Walter Menninger 1975
  • Schneider & Goldwasser 1998

und wird seither wirkungsvoll in der Beratung von Veränderungsprozessen angewendet.

Für die vier Räume der Veränderung:

  • Claes Janssen, Personal Dialectics, Personlig dialektik (Liber, 1975)
  • Claes Janssen, The Four Rooms of Change, Förändringens fyra rum (Wahlström & Widstrand, 1996)
  • Alfred Tschönhens und Elmar Bissegger: Die vier Zimmer der Veränderung, in: Change Tools, managerSeminare Verlags GmbH, Bonn 2006

Ein besonderer Dank geht an Roger Henrichs von 2Coach für das Erweitern der Räume um die Sonnenterasse und um das Verlies.

Text: Andreas Leipelt, Weggefährten – Agentur für Wandel, Systemischer Berater und Prozess-Moderator mit dem Fokus auf schulische Veränderungsprozesse

Fotos:
Andreas Leipelt im Rahmen eines Netzwerktreffens des Projektes bildung.digital am 26. Februar 2018

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