Nach zweijähriger Pilotphase war das LiGa Team Sachsen-Anhalt an der Gemeinschaftsschule Johannes Gutenberg in Wolmirstedt und hat mit Josephine Mewes, Lehrerin der BYOD (Bring yor own device)-Pilotklasse, über den Start, Verlauf und aktuellen Stand der Umsetzung des BYOD-Prinzips an ihrer Schule gesprochen. An der Gutenbergschule lernen Schülerinnen und Schüler selbstständig, kreativ, kooperativ und praxisbezogen zu arbeiten. Sowohl im Unterricht als auch in ganztägigen Angeboten wird das Gemeinschaftsgefühl gefördert und Kinder und Jugendliche in ihrem selbstverantwortlichen Handeln unterstützt. So auch im Bereich der digitalen Bildung, indem die Schülerinnen und Schüler durch die Umsetzung des Bring Your Own Device-Prinzips — das heißt die Nutzung privater mobiler Endgeräte (Smartphones, Tablets und Laptops) in der Schule samt Einbindung in das hauseigene Netzwerk — praktisch, eigenverantwortlich und digital-vernetzt lernen.
Seit wann wird an ihrer Schule mit dem BYOD-Prinzip gearbeitet?
Vor zwei Jahren haben wir damit angefangen. Für uns stellte sich zu diesem Zeitpunkt die Frage: „Wie können wir uns an das Thema Digitalisierung herantrauen?“. Also sind wir schnell dazu gekommen, das große Thema erst einmal klein und handhabbar zu machen und haben uns für BYOD als Grundlage entschieden. Für den Start war meine damalige 7.Klasse der Pilot. Dieser kleine Start hat es auch leichter gemacht, den Kolleginnen und Kollegen die Angst zu nehmen. Denn die war definitiv da.
Ihre Kolleginnen und Kollegen hatten Angst vor BYOD?
Ja, durchaus. Denn BYOD lässt sich nicht verwalten und demnach auch nicht komplett kontrollieren und reglementieren. Das zu akzeptieren und damit — vielleicht auch mit noch bestehenden eigenen Wissenslücken — umzugehen, ist nicht jedermanns Sache. Manch einer ist eben mehr, der andere weniger aufgeschlossen gegenüber Neuem. So war es auch bei uns. Aber mit der Pilotklasse ließen sich diese Bedenken gut einfangen und nach und nach auflösen.
Es gibt zwei Varianten das BYOD-Prinzip an einer Schule umzusetzen: Entweder die Nutzung von eigenen Geräten egal welchen Herstellers oder eine schulinterne Festlegung auf eine bestimmte Art von Gerät. Für welche Variante hat sich die Gutenbergschule entschieden?
Unsere erste Idee war es mit schuleigenen Geräten zu starten. Aber die Idee wurde sehr schnell verworfen. Wir wollten personalisierte Geräte. Jedes Kind sollte ein Endgerät haben und nutzen können, auch zu Hause. Das ist versicherungstechnisch mit Schuleigentum so nicht umsetzbar und insgesamt auch zu kostenintensiv. Dann haben wir uns unter anderem die Schullösung eines großen Herstellers erklären lassen, um zu schauen, ob eine Festlegung auf diesen Hersteller Sinn macht. Das System ist wirklich super intuitiv, nicht allein für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für weniger technikaffine Lehrkräfte. Das „ABER“ kam jedoch recht schnell, denn ein Tablet des besagten Herstellers kostet 800 Euro. Dazu kommen weitere Kosten etwa für Accounts je Schüler. Das war für uns ein Fass ohne Boden und einem Elternteil schlecht zu vermitteln, denn die hätten die Kosten am Ende tragen müssen. Mittlerweile sind wir — mit Ausnahme einiger weniger günstiger Klassentablets als Reserve — nun durchweg beim Bring what you want angelangt. Wir arbeiten an der Schule also mit mitgebrachten Geräten, egal welchen Herstellers.
Gibt es Mindestanforderungen an die mitgebrachten Geräte?
Ja, es gibt grobe Richtwerte. Das Display von Tablets oder Laptops sollte mindestens 10,7 Zoll haben, um vernünftig arbeiten zu können. Zudem sollte der Speicherplatz auf dem Gerät mindestens 32GB, besser 64GB groß sein. Es wird sonst eng, wenn verschiedene Anwendungen zum Einsatz kommen. Dazu empfehlen wir bei Tablets eine Tastatur und eine Maus. Aktuell haben sich mehrheitlich Notebooks, sprich kleine und flache Laptops, durchgesetzt. Die neueren Modelle sind auch als echtes „Notizbuch“ im Sinne des Wortes nutzbar. Unsere 11. Klassen schreiben handschriftlich mit dem entsprechenden Stift auf dem Display mit. Da ist sehr schön zu sehen, wie anlog digital trifft. Aber letztlich ist es egal, welches Gerät mitgebracht wird, denn das ist ja auch eine Kostenfrage.
Apropos Kosten: Wie haben die Eltern reagiert?
Vor dem Start des Piloten gab es speziell zu dem Thema Elternversammlungen. Es gab erst ein leichtes Murren, aber unterm Strich hat die Eltern der Vorteil der digitalen Bildung in Schule und am eigenen Gerät überzeugt. Zu Hause hat (fast) jedes Kind Zugang zu einem digitalen Endgerät, nur der Umgang damit wird abends um 19 Uhr nicht mehr unbedingt vermittelt. Da ist es schon ein Mehrwert für die Eltern, dass wir das hier in der Schule übernehmen. Einige Eltern haben nicht sofort ein Gerät gekauft, sondern mit der Anschaffung etwas gewartet, was okay war. Ein paar Geräte hatten wir auf Reserve. Jetzt hat jeder sein eigenes Gerät.
Wie sieht es bei BYOD mit dem Versicherungsschutz aus?
Da es sich um private Geräte handelt, obliegt es dem Elternhaus. Aber auch das ist von Beginn an klar kommuniziert worden und völlig in Ordnung. Wenn das private Telefon runterfällt, wäre es ja ebenso. Das versteht jeder. Dafür gibt es keine Zusatzkosten. Wir arbeiten nicht mit kostenpflichtigen Anwendungen und bieten Zugang zum W-Lan der Schule.
Wie funktioniert die technische Einbindung der Geräte genau?
Es braucht allein Zugang zum Internet. Wir arbeiten nicht permanent in einer speziellen Lernumgebung. In einigen Bereichen arbeiten wir mit der Lernplattform Moodle, aber eben auch über den Browser. Das heißt, wir nutzen das Internet und verschiedene Apps, die den Schülern bekannt sind. Jeder Schüler hat bei uns einen eigenen Account für den Zugang zum W-LAN und meldet sich dementsprechend mit seinem jeweiligen Gerät an. Um die Reichweite unseres WLans im Schulhaus zu erhöhen, nutzen wir einen Switch, der mit dem Hauptrouter verbunden ist. Dazu arbeiten wir über einen eigenen Proxy-Server, der als Mittler zwischen dem Endgerät und „der Welt draußen“ dient. So werden alle Anfragen — beispielsweise Suchanfragen der Schüler über eine Suchmaschine — mit der IP-Adresse des Proxy-Servers nach außen gegeben, nicht jedoch die persönliche IP-Adresse des Schülergerätes. Das ist unser Sicherungsnetz für die Schüler (und auch Lehrkräfte). Eine komplizierte Administration der Geräte findet nicht statt. Jeder Schüler ist für sein Gerät selbst verantwortlich.
Und das funktioniert?
Ja, durchaus. Nicht immer reibungslos, aber es geht. Durch die Vielfalt an verschiedenen Geräten kommt es schon ab und an zu Problemen beispielsweise bei der Einwahl in das WLan. Manchmal müssen erst die Einstellungen am Gerät selbst geändert werden, damit es funktioniert. Aber diese kleineren Stolpersteine haben auch einen positiven Nebeneffekt.
Welchen positiven Nebeneffekt meinen Sie?
Wir haben mittlerweile Schülerexperten, sowohl zu generellen technischen Grundlagen als auch herstellerbezogen — je Produktgruppe sozusagen. Da gibt es dann Schüler, die sich mit einem bestimmten Gerät auskennen und ihr Wissen gern weitergeben. Das ist super. Ich kenne die Experten und kann bei Problemen auf sie verweisen und mich darauf verlassen, dass es läuft. Das entlastet mich als Lehrkraft ungemein und gibt den Schülern ganz nebenbei eine sinnvolle Aufgabe. Und auch die ein oder andere Lehrkraft ist Experte, was einen bestimmten Prozess anbelangt und hilft gern weiter. Das interne „Helfersystem“ hat sich sehr gut entwickelt.
Wie sieht es mit der Einbindung in den Unterricht aus?
Wie bereits erwähnt haben wir mit dem Piloten in der 7.Klasse begonnen und hier im Rahmen des SPL-Unterrichts, dem selbstorganisierten projektorientierten Lernen an unserer Schule. Ohne die Einführung im Rahmen eines Projektunterrichtes halte ich den Beginn von BYOD durchaus für schwierig. Hier hatten wir genügend Zeit und Raum, alle anfänglichen Schwierigkeiten gemeinsam zu betrachten und zu lösen. Und auch heute ist SPL, meines Erachtens nach, ein guter Rahmen für BYOD.
Sicherlich nutze ich als Mathelehrerin auch im Fachunterricht Apps oder Textverarbeitungsprogramme. Aber ich lege auch Wert darauf, dass die Schüler mit einem realen Winkelmesser oder Lineal umgehen können. Das war nämlich für uns Lehrkräfte auch ein Lerneffekt der letzten knapp zwei Jahre. Nach der anfänglichen Euphorie und dem Ausprobieren verschiedenster technischer Möglichkeiten, sind wir zum Teil bewusst in die analoge Welt zurückgekehrt. Denn der Einsatz der Geräte und Anwendungen muss immer mit Sinn hinterlegt sein. Nicht alles was es gibt, muss auch genutzt werden. Wenn wir uns entscheiden mit den Geräten zu arbeiten, dann immer mit einem bestimmten Ziel. Im SPL-Unterricht (ab Klasse 7) arbeiten wir beispielsweise intensiver auf der erwähnten Lernplattform Moodle. Jede Klasse hat einen eigenen digitalen Klassenraum. Hier werden Aufgaben erteilt und Ergebnisse abgelegt, dafür braucht es ein Endgerät. Auch Präsentationen der Projekte laufen zu einem Großteil digital. Zum Beispiel hat zwar jeder Schüler die Möglichkeit, ein reelles Plakat zu basteln, aber die digitale Variante wird hier eher genutzt. Der Umgang und die Nutzung von Präsentationstechniken aller Art, die ich mir erst während meines Studiums angeeignet habe, beherrschen meine Schüler durch BYOD jetzt bereits in der 9.Klasse.
Sind schon nach zwei Jahren Effekte zu sehen?
Aber klar, definitiv! Für ein, zwei Schüler war ein Tablet oder Laptop zu Beginn wirklich Neuland. Nun sind alle fit im Umgang mit ihren Geräten und den Anwendungen. Mir ist es auch wichtig grundlegendes Wissen, wie etwa das Recht am eigenen Bild oder auch die Angabe von Quellen und deren Nutzung, zu vermitteln. Auch da sind nun alle auf einem guten Stand. Und die Schüler sind sehr viel selbstständiger geworden. Sie sind sich bewusst, dass sie selbst Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Denn das BYOD-Prinzip hat Effekte weit über das technische hinaus. Der Einsatz von eigenen Endgeräten in der Schule, samt Zugang zum Internet ist letztlich ein Appell an die Selbstständigkeit der Schüler. Ich kann und möchte nicht jede Minute kontrollieren, was sie mit ihren Geräten tun. Meine Schüler bekommen eine Aufgabe gestellt und diese gilt es zu bearbeiten. Man muss den Kindern und Jugendlichen auch erlauben Fehler zu machen. Wenn die Aufgabe am Ende erledigt ist, ist es mir egal, ob kurz nebenbei eine Nachricht geschrieben wurde. Sollte die Aufgabe unvollständig sein, dann müssen die Schüler die Konsequenzen tragen. Ich bezweifle aber, dass die Aufgabe nur allein dadurch vollständiger wäre, dass sie kein Tablet oder Handy zur Hand hatten. Ich habe früher aus dem Fenster geschaut oder mich unterhalten. Da sehe ich keinen Unterschied. Und die Schüler steuern sich ganz gut untereinander. Selbst wenn ich nicht alles mitbekomme, so bekommt es von den Schülern doch immer einer mit und erzählt es mir. Dann kann ich entscheiden, ob es notwendig ist gegenzusteuern. Sollte beispielsweise ein menschenverachtendes Video die Runde machen, bespreche ich das mit meiner Klasse. Aber Schule sollte zur Selbstständigkeit erziehen. Und letztlich muss ich sie in die große Welt entlassen. Zwar mit Vorbereitung und „Schutzhelm“, aber sie müssen raus. Dafür ist BYOD eine sehr gute Vorbereitung. Da der Pilot bei uns so gut funktioniert hat, wurde BYOD nun per Beschluss der Gesamtkonferenz auf die gesamte Schule ausgeweitet.